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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 20
50. Jahrgang | Juli/August
Internet
Cage im Cyber-Quirl: Internet in der tube
Wie Moritz Eggert und Andreas Heck einmal John Cage datenbanktechnisch
bearbeiteten
Musikalische, gar kompositorische Nutzung von Techniken und Mitteln
des Internets sind bisher vor allem auch ästhetisch problematisch.
Das weiß man nicht zuletzt aus den Projekten wie der ominösen
Internetsinfonie und so mancher virtueller Oper aus der letzten
Zeit. Mit großem Brimborium traten da altbackene Kompositionsrezepte
auf den Plan, tarnten sich dann mit Begriffen von Interaktivität
und Kommunikativität. Das war alles im Endeffekt eine reine
Blenderei, die allerdings das Problemfeld von Gruppenwerken und
dramaturgischen Leitbildern nachdrücklich problematisierte.
Dazu gesellt sich die schöne Aussicht, dass durch den Zugang
zu solchen Veranstaltungen über das Internet der klassische
Raum des Konzertes verlassen wird. Man muss nicht in Köln oder
Sidney persönlich anwesend sein, um an einem Internetkonzert
teilhaben zu können. Nur: das ist gar keine neue Erfahrung.
Rundfunk und Television, spätestens via Satellit, haben diese
Erfahrung längst möglich gemacht. Was das Internet neu
ins Spiel bringt, ist die einfache Realisierung eines Rückkanals:
dass also Sender und Empfänger ihre Positionen tauschen könnten.
So stellt sich die Frage erneut und nachdrücklich, wie denn
ein Internet-Stück überhaupt aussehen oder funktionieren
könnte.
Im Raumschiff Internet: Moritz
Eggert (Mitte) und Andreas Heck (rechts).
Foto: Martin Hufner
Dabei liegen die möglichen Lösungswege auf der Hand.
Denn sie liegen in der Analyse des Mediums selbst. Ein Computer
im Internet ist und bleibt in seiner Grundfunktion ein Computer,
eine treudoofe und simple Maschine zur Verarbeitung von Rechenoperationen.
Da der Computer meistens macht, was man ihm sagt, macht er als bloßer
Rechenknecht ästhetisch selten viel her. Dem Rechenkünstler
muss man also auch noch das Vergnügen am Spiel beibringen.
Warum also den Computer nicht auch in dieser Weise einsetzen: Also
mal schnell mit dem Flash-Quirl auf php und SQL. Strom (also Input)
liefern ausnahmsweise mal Humans (also Menschen). Auf diesem technologischen
und ästhetischen Wege befindet sich das Internetstück
Variations IV.01, das im Rahmen des 6. A·Devangarde-Festivals
in München sowohl in der t-u-b-e als auch im Internet realisiert
wurde.
Das Internetstück Variations IV.01 von Moritz
Eggert und Andreas Heck beruht auf einer kompositorischen Idee von
John Cage. Zusammengefasst geht es in dieser Version um eine wohlkalkulierte
Mischung von Zufallsereignissen in der Zeit, die vorpräpariert
wurden. 20 Komponisten, verstreut über die Erde, wurden angesprochen,
Materialien (wie Kompositionen oder Sounds, textliche oder grafische
Improvisationsanweisungen, Texte und Bilder) zusammenzustellen,
deren Einsatz zu bestimmten Punkten des Stücks zum Teil während
der Realisation von den 20 Komponisten festgelegt wurde. Anders
gesagt: Aus einem Materialienhaufen wurde während der Realisation
im Konzert das Stück zusammengesetzt. Das ist das gegenseitige
Spiel von Zufall und Absicht, welches oft sinnlich reizvoll wird.
Obwohl die meisten Materialien bekannt sind, ist das realisierte
Ergebnis dieser Klang- und Bildcollage nicht vorauszusehen. Diese
Unvorhersehbarkeit wurde noch verstärkt dadurch, dass im Konzertsaal
der t-u-b-e zwei Musiker (FM Einheit und Sebastian Hess) die verbalen
oder grafischen Improvisationsanweisungen der 20 Komponisten auf
ihre Weise umsetzten. Heraus kam ein buntes Klang-, Bild-, Sound-
aber auch Gagmixing, das gegen Ende des Stückes dramaturgisch
etwas zu sinnfällig in ein überdrehtes Finale mündete.
FM Einheit improvisiert mit
und gegen den Zufall.
Foto: Martin Hufner
Wie kommt nun das ominöse Internet ins Spiel? Einerseits dienen
die Kommunikationsmedien des Internets zur Live-Steuerung von ästhetischen
Ereignissen über ein Chatsystem. Andererseits durch die Live-Collagierung
der Materialien über das Medium des Internets. Es ist nämlich
überaus bemerkenswert, dass die Zusammensetzung und Mischung
im Konzertsaal nicht sozusagen als Resultatmischung in die Kanäle
des Internets zurückgesendet wird, sondern dort selbst on-the-fly
generiert wird. Dazu bedarf es einer komplizierten Datenbankadministration,
die verknüpft werden muss mit einer Nutzungsoberfläche,
die ihrerseits spezifischen technischen Ansprüchen der Internetnutzung
der Normaluser angepasst werden musste und vor allem eines
ist: selbsterklärend. Dies ist Andreas Heck tatsächlich
gelungen. Es gab keinen aufgedonnerten grafischen Schnick-Schnack,
eher das Gefühl einer ruhigen Space-Night im Bayerischen Nachtfernsehen.
Vielleicht sollte man ein technisches Problem dieses Konzertes
nicht als Fehler bewerten. Die Live-Musiker waren über
das Netz nicht zu hören und auch einige Passagen der Klangmischung
dürften sich zwischen Internetdarstellung und dem Ergebnis
vor Ort technisch verursacht verschieden gewesen sein. Auf diese
Weise erhält man dann jedoch tatsächlich auch angepasste
Versionen für unterschiedliche Musik-Räume. Auch so kann
man den Werkcharakter eigentümlich differenzieren. Variation
IV.01 ist kein Internetstück an sich, aber es zeigt ein
paar eigensinnige Dimensionen musikalischer Möglichkeiten des
Internets auf.