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nmz-archiv
nmz 2001/07-08 | Seite 11
50. Jahrgang | Juli/August
Musik in Städten
Von der Viehauktionshalle zum Messezentrum
Die Studentenmetropole Münster ist von der Kultur geprägt
Einst schimpfte der Händel-Zeitgenosse Johann Mattheson,
seines Zeichens Musiktheoretiker und Komponist, die Westfalen verstünden
viel mehr von Branntwein und geräuchertem Schinken als von
einer guten Melodie. Und Johannes Brahms beschwerte sich bei seinem
Freund Julius Otto Grimm, zu dieser Zeit Dirigent des Münsterschen
Musikvereins: Ich komme nach Müns-ter und musiziere dort
gern Euretwegen, womit ich aber nicht die Münsteraner meine.
Er war pikiert ob der zurückhaltenden Aufnahme seiner Musik
beim Münsteraner Publikum.
Evelyn Herlitzius (Brünnhilde)
und Christian Franz (Siegfried) werden mit ihren Münsterschen
Rollen in Bayreuth debütieren.
Foto: M. Hörnschemeyer
Inzwischen hat sich das gründlich geändert. Münster
ist mit seinen knapp 270.000 Einwohnern eine von Kultur geprägte
Stadt. In der Dienstleistungs- und Studentenmetropole haben mehrere
Versicherungen, Banken, Telekommunikationsunternehmen und staatliche
Dienststellen ihren Hauptsitz. Die Westfälische Wilhelms-Universität
ist die größte Nordrhein-Westfalens und unter den ersten
fünf im Bundesgebiet, zusammen mit der Fachhochschule bevölkern
in Semesterzeiten ungefähr 55.000 Studenten die Stadt. Das
hat tief greifende Auswirkungen auf das Kulturleben. Die etablierte
und die freie Kulturszene buhlen um Zuschuss-Gelder aus dem Stadtsäckel,
und so entstehen nicht selten Diskussionen um den Wert der Kultur.
Ihre Existenzberechtigung wird jedoch nie infrage gestellt: Eine
vielschichtige Stadt wie Münster verträgt und braucht
eine ebensolche Kulturszene.
Dennoch haben die Kritiker der so genannten Hochkultur jüngst
wieder einen Anlass zur Klage gefunden: Seit Jahren versucht der
Verein Musikhalle eine Konzertstätte zu schaffen,
die sowohl das Sinfonieorchester der Stadt Münster, die drei
Studentenorchester, die Konzerte der Konzertagentur Schoneberg (immerhin
die größte ihrer Art in NRW) und viele andere musikalische
Veranstaltungen aufnehmen soll. Bislang scheiterte es an den Kosten
und am mangelnden Rückhalt eines solchen Millionenprojektes
(geschätzte 60 Millionen Mark) bei den Bürgern.
Dabei wäre eine solche Konzertstätte nötig. Das
Große Haus der Städtischen Bühnen Münster ist
mit seiner für Orchesterkonzerte zu mangelhaften Akustik nur
ein ungenügender Ersatz. Außerdem findet hier zum Teil
aufwändiges Musik- und immerhin ist es ein Dreispartenhaus
Sprech- und Tanztheater statt. Die Studentenorchester- und
Schoneberg-Konzerte finden in Hörsälen der Universität
statt, mit allen Einschränkungen, die solche Räumlichkeiten
in diesem Fall hauptsächlich Platzmangel mit
sich bringen.
Auch die Halle Münsterland, einst eine Viehauktionshalle im
Hafengebiet, inzwischen jedoch großflächig zum Messezentrum
ausgebaut, wurde erprobt, allerdings für ungenügend befunden.
Lautsprecheranlagen sind der Tod eines jeden differenzierten Orchesterklangs.
Dafür werden die drei, bald vier Hallen am Albersloher Weg
regelmäßig von Stars der Popkultur bevölkert: Roland
Kaiser, Howard Carpendale, André Rieu treten oft genug vor
gut gefüllten Zuschauerreihen auf. Und wer es kleiner besetzt
haben will oder eine härtere Gangart bevorzugt, sucht sich
eine der Kneipen, vorzugsweise das Odeon oder Steffi
Stephans Jovel oder greift selbst zum Instrument, zieht
in das, allerdings von der Schließung bedrohte, Probenzentrum
am Haverkamp in unmittelbarer Nähe der Halle Münsterland
und lässt es musikalisch krachen.
Überhaupt ist das Musik-Selbermachen in Münster angesagt.
Allerdings mit weniger Auswirkungen auf die Platzprobleme. Die zahllosen
Pop-, Kirchen- und Kammerchöre, die in jeder Größe
und mit jedem Programm für Abwechslung in der Konzertsaison
sorgen, suchen sich ihr Publikum in Kirchen oder kleineren Sälen.
Dass eine Musikhalle positive Synergieeffekte auch auf die Musikausbildung
in Münster haben kann und wird, ist ein viel zu selten angebrachtes
Argument. Nicht nur die professionellen Orchester sondern auch die
Studierenden der Musikhochschule, eine Unterabteilung der Hochschule
in Detmold, und die Schülerinnen und Schüler der sehr
aktiven Städtischen Musikschule wären direkte Nutznießer.
Studierende der Musikwissenschaft und Musikpädagogik hätten
die Gelegenheit, ihre theoretischen Kenntnisse in Dramaturgie, Musikmanagement
und Musikvermittlung praktisch anzuwenden.
So oder ähnlich sieht wohl die Zukunft für die Studiengänge
Musikwissenschaft und Musikpädagogik aus, die als einzige Chance
geblieben ist, das Fach Musikwissenschaft in Müns-ter zu erhalten.
Diese Überlegungen wurden notwendig, nachdem eine Expertenkommission
aufgrund des Qualitätspaktes insgesamt vier der so genannten
Kleineren Fächer an der WWU schließen wollte. Grund:
Speziell die Musikwissenschaft habe sich durch mangelnde Drittmitteleinwerbung,
zu geringe Auslastung und zu niedrige Absolventenzahlen überflüssig
gemacht und sei für das Profil der Universität nicht
konstitutiv (Zitat aus dem Abschlussbericht der Kommission).
Der Immatrikulationsstopp zum kommenden Wintersemester und die drohende
Schließung im Jahr 2007 sind nun um ein Jahr verschoben, ein
Zeitraum, in dem der neue Bachelor-Studiengang entwickelt werden
soll.
Mit all diesen Problemen im Kultursektor unterscheidet sich Münster
nicht allzu sehr von anderen Städten vergleichbarer Größe.
Auch wenn der größte Teil des reichhaltigen Kulturangebots
in freier Trägerschaft organisiert wird, geht es letztendlich
immer um Geld.
Auch Ausnahme-Projekte wie Wagners Ring des Nibelungen
seit 80 Jahren erstmals wieder komplett auf Münsters
Bühnen sind nur durch Sponsoren finanzierbar, trotz
fast 100-prozentiger Besucherauslastung. Die Bündelung vieler
Kräfte ist das, was in Münster große Kulturvorhaben
bewegt. Und das Ergebnis kann sich in der Regel sehen lassen, wie
jüngst beim Ring. Die FAZ schrieb zur
Premiere der Götterdämmerung, das Beste, was
Bayreuth machen könne, sei die münstersche Inszenierung
zu kaufen. Wenn das kein Statement ist.