[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2002/07-08 | Seite 3
51. Jahrgang | Aug./Sep.
Zukunftswerkstatt
Ästhetische Tauchgänge im Wellenbad
Hörfunk der Zukunft: Krise der Radio-Kultur und lokale Utopien
· Von Martin Hufner
Radio ist Kultur, dieses Motto wird von vielen Radiomachern
gerne im Munde geführt. Was aber am Radio Kultur sei, das weiß
kaum jemand noch zu beantworten. Unzweifelhaft ist das Radio ein
Bestandteil der medialen Kultur und unzweifelhaft wird in der letzten
Zeit dieser Kulturraum an vielen Stellen umgepflügt.
Foto: Martin Hufner
Der Bayerische Rundfunk steht offenbar vor einer Programmreform,
die allem Anschein nach die zwei expliziten Kulturprogramme zu einem
gemeinsamen zusammenzufassen trachtet um Platz zu schaffen für
quotenträchtigere Programme. Auch das letzte größere
Rundfunkopfer war erst vor kurzem zu beklagen: Radio Bremen,
welches in die mittlerweile flächenmäßig gesehene
Überanstalt des NDR eingegliedert wurde. Aufgegeben wurde damit
zugleich eine gut funktionierende und engagiert-rührige Kulturredaktion
aus Bremen. Jetzt existiert Radio Bremen weiter als
NordwestRadio.
In der Selbstbeschreibung heißt es: Das Musik-Repertoire
des NordwestRadios hält Neues wie Vertrautes bereit: Ausgewählte
Klassik, Smooth-Jazz zum Fingerschnippen, anspruchsvollen Pop, Wave-Music
zum ruhigen Durchatmen und Swing in bestem Klang. Fingerschnippdischnapp
zum Ausschalten. Der Mitteldeutsche Rundfunk startete am 6. Mai
dieses Jahres sein digitales Klassik-Radio, welches vorzugsweise
Klassik-Häppchen (vornehmlich digitale Nullen)
wenig adrett totjinglet. Im Fachjargon nennt man das dann bezaubernd
Tagesbegleitprogramm mit Musik von Bach bis Lloyd-Webber,
was kaum verschleiert, dass man sich ganz auf eine schmerzlose Musikkultur
verstehen will. Es klingelt aus dem Radio, damit man bloß
nicht Zuhören muss. Nicht anders beim Klassik-Radio:
Als ihre Idee geben die Macher Antwort auf die Frage,
warum man Klassik sende: Weil Klassik funktioniert! Wie keine
andere Musikrichtung vermittelt Klassik ein Gefühl der Entspannung
und Ausgeglichenheit, sie relaxt. Diesen Effekt nutzen immer mehr
Hörer für ihr persönliches Wohlbefinden und schalten
um auf Klassik-Radio. Eine Lebensart. Nun werden die Hamburger
Klassik-Radio-Macher vom MDR digital an die Wand gespielt, wobei
man das Niveau noch zu drosseln verstanden hat.
Kultur
Radio ist Kultur? Diese Idee scheint immer deutlicher zu einer
rhetorischen Phrase zu verdorren. Radio wird in der Vorstellung
der genannten Programmen vom NordwestRadio bis zum Klassik-Radio
zum neckischen Entspannungsreiz, nur noch in einer angeblich dienenden
Funktion, ein Mitläuferradio: Klassik-Muzak. Kultur aber ist
Anstrengung, Engagement, Initiative und Forderung. Die zur Perfektion
getriebene Unterforderung des Publikums dagegen führt über
kurz oder lang auch in der Radioöffentlichkeit zu Defekten
der Menschenbildung: Der PISA-Schock hat auch außerschulisch
seine Wirkung. Oskar Negt schrieb schon 1984: Eine Gesellschaft,
in der keine Anstrengung zu spüren ist, möglichst reichhaltige
und spontane Formen, Ausdrucksformen von Sinnorientierung, von elementaren
Interessen und Bedürfnissen zu schaffen, wird zukünftig
immer weniger Kulturbedeutsamkeit haben (Oskar Negt, Lebendige
Arbeit, enteignete Zeit. Politische und kulturelle Dimensionen des
Kampfes um die Arbeitszeit, Frankfurt/M. 1984, S. 149).
Kommerz ungleich Kommerz
Man könnte die Entwicklung der Rundfunkzukunft nach statistischen
Bedingungen zu lösen versuchen. Seit den 50-er Jahren haben
die einzelnen Ländersender annähernd in Zehnjahres-Schritten
ihre Wellenstruktur erweitert. Der WDR hat mittlerweile fünf
Wellen, ebenso der NDR, der MDR sowie der BR. Im Jahr 2020 wären
das dann pro Sender sieben. In die Quere dieser Entwicklung kamen
Anfang/Mitte der 80-er Jahre die neu eingeführten privaten-kommerziellen
Sender von Gong bis Charivari, von Klassik-Radio bis Radio Melodie.
Kommerziell müssen diese Sender sein, wenn sie sich selbst
finanziell erhalten wollen, vom technischen Equipment bis zum Personal.
Kommerziell sein heißt in der Medienlandschaft nicht zwingend,
dass man käuflich wäre. Der Zeitungs-, Zeitschriften-
und Buchmarkt ist in der Regel auch privat. Dennoch sind diese Medien
eng gekoppelt geblieben an eine bürgerliche Kultur der Öffentlichkeit.
Rückzug aus der Öffentlichkeit
Radio, Zeitung, Fernsehen, Literatur: das waren einmal im emphatischen
Sinn Medien, die eine Öffentlichkeit herstellen konnten und
in der Öffentlichkeit sich auch der Kritik stellten. Der Begriff
der Öffentlichkeit hat ursprünglich eine direkte politische
Bedeutung. In der Öffentlichkeit werden Probleme des gesellschaftlichen
Lebens problematisiert und gewissermaßen politisch vorverdaut.
Das betrifft einerseits natürlich konkrete Fragen der Politik,
das betrifft aber auch Funktionen der öffentlichen Aufklärung,
Bildung und Unterhaltung. In aller Konsequenz wird eine derartige
Möglichkeit des Radiomachens in Deutschland nur von einem Sender
wie dem Deutschlandfunk verfolgt. Die am Anfang genannten Beispiele
dagegen zeigen, wo momentan die Tendenzen beim öffentlich-rechtlichen
Rundfunk hingehen in ein gesichtsloses Schallwellenausliefern.
Dabei konkurriert man immer stärker mit den privaten Radiostationen,
die sich ihrerseits gegen den öffentlich geförderten kommerziellen
und zum Teil werbefinanzierten Rundfunk der öffentlich-rechtlichen
Anstalten ganz zu Recht wehren, weil dies gewiss eine Verzerrung
des Wettbewerbs darstellt.
Ethische Verwahrlosung
Im Bereich der privaten Rundfunkanbieter hat das Ringen um die
Quote zu bisweilen bedenklichen Entwicklungen geführt. Nicht
nur mit den an Anzahl zunehmenden Ratestunden versucht man Quote
zu machen, sondern immer mehr auch mit exhibitionistischen
und entwürdigenden Telefon-Shows. Von Big-Brother bis Liebesspiele,
von der Zertrümmerung des eigenen Autos bis zur Entseelung
des Selbst vor Publikum. Die Idee, dass auch das Private politisch
ist wird gänzlich pervertiert. Auch die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten springen immer mehr auf diesen Zug und machen
sich damit in der Tat entbehrlich.
Wer macht das Radio? Die Quote und die aus diesen Zahlen mehr als
fragwürdig interpretierenden Programmleiter und Intendanten?
Zeigt diese Entwicklung nicht vielmehr eine Verschiebung der Verantwortung,
heraus aus der persönlichen Verantwortungsleistung von Redakteuren,
hin zu einer angeblichen Anpassung an die Bedürfnisse des Publikums?
Hierbei handelt es sich tatsächlich um eine Spiralbewegung
zwischen Machern und Hörern. Für die Entstehung dieses
Teufelskreises zeigt sich das Radio offenbar anfälliger als
die Printmedien. Dabei geht es nicht so sehr um den Bildungsauftrag
des Rundfunks, der sich als Pädagogisierung oder, das italienische
Beispiel Berlusconis zeigt es, als zunehmende Demagogisierung äußert,
und dem man penetrant das Unterhaltungselement gegenüberstellt.
Unterhaltung
Wenn man aber unter Unterhaltung tatsächlich nichts anderes
mehr versteht, als die Wiederholung des Immergleichen, die Reduzierung
des Unterhaltungsrepertoires auf den Bereich zwischen Ernst Mosch
bis zur Chartmusik, von Ratespielchen bis zur Blitzermeldung, dann
ist dieser Begriff von Unterhaltung selbst untauglich. Leider wird
dieser auch ästhetische Tauchgang im Radio durch die häufig
blind zur Hand genommenen statistischen Hörerauswertungen gefördert,
bei denen man schnell und locker streng-kausale Zusammenhänge
zu finden vermeint, die in der Tat jedoch nur im Zusammenhang des
gesellschaftlichen Ganzen zu sehen sind.
Mediale Konvergenz
Eine der zukunftsträchtigsten Entwicklungen des Rundfunks
liegt womöglich außerhalb der althergebrachten Radioempfänger,
nämlich im Internet. Zusatzmaterialien und im weitesten Sinn
schnelle und einfache Kommunikation erfolgt immer mehr über
dieses Medium. Das Stichwort ist hier: Nutzung des Medienverbunds
und Konvergenz. Man wird sich nicht mehr in sein traditionelles
Schneckenhaus zurückziehen können. Die Frage dabei ist
nur, ganz ähnlich wie im gegenwärtigen Rundfunksystem,
ob man dieses Medium qualitativ nutzen wird oder es als bloßes
Marketinginstrument und als nur quantitative Dienstleistung auffasst.
Brechts Radiotheorie könnte gerade hier auch wieder zum Zuge
kommen: Rundfunk als Kommunikationsapparat. Dabei sind aber beide
Parteien des Radios gefragt und noch viel mehr gefordert: Produzent
wie Konsument.
Zukunft Freie Radios
Dass das tatsächlich funktionieren kann, zeigen nicht-kommerzielle,
nicht-öffentlich-rechtliche Radios wie der Frankfurter Sender
RadioX, der, getragen von einem Verein aus Gönnern und Freunden,
urbane Musikkultur jenseits des musikalischen Chart-Rotationsprinzips
unter die Hörer bringt. In Berlin gibt es eine Initiative,
die für die Einrichtung eines solchen Senders kämpft,
was anscheinend medienrechtlich dort nicht vorgesehen ist. Man sehe
sich beispielweise einfach einmal das Programmschema des Karlsruher
Querfunks an (http://www.querfunk.de/programm.html)
und man erkennt, wie elegant und engagiert es aufgebaut ist. Das
Spektrum reicht in der Tat von der politischen Wort- bis zur reinen
Musiksendung. Oder wenn man sich das Programm des Nürnberger
Senders Radio Z anschaut, finden sich neben Kinderfunk
auch hoch ambitionierte Projekte wie: Europhonia Diskussionen
und Fakten rund um die EU. Mit Beiträgen über Griechenland,
Europa und die Sudetendeutschen, mit Nachrichten aus der EU und
mit einer einstündigen Studiodiskussion startet das Europamagazin
Europhonia mit seinem Internetangebot und dem Radiomagazin Grenzwert
Europa. Auf www.europhonia.de
kann man ab sofort die Beiträge abrufen und künftig auch
an aktuellen Diskussionen teilnehmen. Grenzwert Europa sendet jeden
Donnerstag ab 17 Uhr auf 95,8 MHz bei Radio Z.
Öffentlich-endlicher Rundfunk
Das Hauptproblem dieser freien Radios ist freilich, dass die Macher
der Sendungen in der Regel nicht für ihre Arbeit bezahlt werden
(können). Daher sind umfangreiche aufwändige Hörspielproduktionen
oder Features nicht, oder nur unter sehr beschwerlichen Anstrengungen
zu realisieren. Doch genau diese Programmteile stehen immer häufiger
auf der Abschussliste der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
und werden mittlerweile eingekürzt und bisweilen abgeschafft.
Als Argument wird in der Regel mangelndes Hörerinteresse vorgeschoben.
Dass diejenigen, die solche Radiokunst hören würden, es
tatsächlich auch hören (das heißt intensiv
zuhören, es gerade nicht als Tagesbegleitprogramm auffassen)
geht in den quantitativen Untersuchungen verloren. Der öffentlich-rechtliche
Rundfunk krankt überdies an internen politischen wie sozialdynamischen
Problemen. Während in den freien Radios die Produzenten
aus einer meist lokalen Interessenlage heraus operieren und sich
engagieren, ist in vielen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
Engagement häufig genug Fehlanzeige und wird zudem von den
parteipolitisch organisierten Strukturen wenn nicht aufgefressen
so doch erheblich gelähmt. Der Bürgerfunk der freien
Radios steht einem bürokratisch zerworfenen öffentlich-rechtlichen
Verwaltungsfunk wie einem werbeeinnahmengesteuerten Kommerzfunk
diametral gegenüber.
Man möchte die Diskussionen über die Zukunft des Rundfunks
gerne auf den rein technischen Aspekt reduzieren (digitaler Rundfunk
der Zukunft) und weicht damit den Fragen nach den Inhalten des Rundfunks
in der gegenwärtigen Gesellschaft aus. Politische Verdrossenheit
wie schulische Lernprobleme sind aber leider auch Resultate verpasster
Chancen der Aufklärungsfunktion des Radios und man kann nicht
einseitig die Privatsender dafür zur Verantwortung ziehen.
Dass sich das Publikum durch die Quote rächt und damit selbst
bestraft ist ein trauriger Vorgang mit fataler Dialektik, die Bert
Brecht in einem Gedicht pointiert hat: Nur die dümmsten
Kälber / Wählen ihre Schlächter selber. Die
freien Radios aber zeigen, dass anderes möglich
wäre, wenn man es nur wirklich wollte.