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Ausgabe 2004/09
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Serie Stückwerk

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nmz 2004/09 | Seite 6-7
53. Jahrgang | September
Stüclwerk

Entwurf für die Zukunft, wahnsinnige Behauptung

Ein Gespräch mit Ingo Metzmacher über Luigi Nonos „Prometeo“

Am 10. und 11. September 2004 dirigiert Ingo Metzmacher zweimal Luigi Nonos „Prometeo“ in Hamburg. Die Aufführungen sind die Höhepunkte des letzten Hamburger Musikfestes, für das Metzmacher verantwortlich zeichnet. Damit hat der 46-jährige Dirigent fünf Produktionen dieses epochalen Werkes geleitet – gemeinsam mit André Richard, dem Leiter des Experimentalstudios Freiburg. Sein Dramaturg Christoph Becher sprach mit Metzmacher über „Prometeo“ und seine persönlichen Erfahrungen mit Werk und Komponist.

Der Komponist des „Prometeo“ Luigo Nono. Foto: Hans Kumpf

Der Komponist des „Prometeo“ Luigo Nono. Foto: Hans Kumpf

Christoph Becher: Deine Geschichte mit „Prometeo“ und mit Luigi Nono beginnt 1988…
Ingo Metzmacher: Der „Prometeo“ und alles, womit sich das Stück beschäftigt, traf in einem entscheidenden Moment mit meiner Biografie zusammen. Damals war ich zweiter Dirigent bei der Aufführung der Berliner Festwochen in der Philharmonie. Ich hatte kurz zuvor Schrekers „Der ferne Klang“ in Brüssel dirigiert – ein Wendepunkt in meiner Karriere. Und nun lernte ich Nono kennen. Diese Begegnung gehört zu den absoluten Höhepunkten meines Lebens. Ich glaube, er ist der Mensch, bei dem ich am meisten Vertrauen gespürt habe, vielleicht, weil er gemerkt hat, dass ich damals auf der Suche war. Ich stimme Helmut Lachenmann zu, der 1991 geschrieben hat: „Wem Nono als Freund sich zuwandte, der sah – durch alle Irritationen hindurch – sein eigenes Leben durch die Berührung mit dem seinen nicht nur bereichert, sondern zugleich neu geladen mit gesteigerten Ansprüchen an sich selbst und zugleich intensiviert durch den Blick Nonos und seinen Enthusiasmus für das Beste in uns als darin erkanntem kostbaren Teil seines eigenen idealen Wesens.“ So etwas spürt man sonst ja nur in der Liebe: Man erhält Vertrauen zu sich selbst, Kraft… Man muss sich das vorstellen: Ich war gerade 30 geworden, auf der Suche, und da kommt diese ungeheuer große Persönlichkeit und sagt mir, dass ich etwas bin, etwas kann, und dass ich auf dem richtigen Weg bin. Er hat mich sofort eingeladen, mit ihm zu Wien modern zu fahren, wo viele seiner Werke aufgeführt wurden. So wurde er in meinem Leben ein Stern, dem ich folgte.

Becher: Du warst bei der Berliner Aufführung der zweite Dirigent. Wie kam es, dass ihr beide so eng zusammen arbeitet?
Metzmacher: Naja, der zweite Dirigent hatte ursprünglich noch weniger zu tun als bei heutigen Aufführungen. Ich ließ nicht locker und dirigierte schließlich zwei Teile allein. Während der Proben kam er dann zu mir und sagte: „Wir brauchen eine neue Klangqualität.“ Ich habe versucht, herauszubekommen, was er meinte – etwas Konkretes, Vermittelbares –, aber das war schwer. Man hatte immer das Gefühl, er sei mit dem, was er hörte, nicht richtig zufrieden, aber er sagte nie, was zu tun wäre. Anfangs stand ich dem kritisch gegenüber. Ich kam ja von Stockhausen, der immer sehr genau wusste, was zu tun sei, wie und wo ein Lautsprecher zu stehen hat, welche Kabel verwendet werden müssen. Nono aber wollte immer, dass man selbst sucht. Und man sucht anders, wenn man nicht weiß, wonach.

„Das ist ein Geben und Nehmen“ – Ingo Metzmacher über seine Zusammenarbeit mit André Richard. Alle Metzmacher-Fotos: texthouse

„Das ist ein Geben und Nehmen“ – Ingo Metzmacher über seine Zusammenarbeit mit André Richard. Alle Metzmacher-Fotos: texthouse

Becher: Worin besteht das Besondere an Nonos Raumkonzept? Worin unterscheidet sich „Prometeo“ von anderen Werken, die viel früher als Nono Musik im Raum schreiben, also etwa Stockhausens „Gruppen“?
Metzmacher: Ich höre den „Prometeo“ ja nie richtig, dort, wo ich stehe. Dazu müsste ich in der Mitte sitzen… Aber der Unterschied liegt auf der Hand: Bei Nono sind es viel mehr „Gruppen“, die nicht nur um das Publikum herum platziert, sondern auch in der Höhe gestaffelt sind. Wie in der Gralshalle des 1. Aufzuges in „Parsifal“… Und dann die Live-Elektronik: Was instrumental erklingt, kann gleichzeitig an einer anderen Stelle des Saales gehört werden. Echowirkungen entstehen, der Klang kreist. Das ganze Stück ist ein einziger Klangraum, und das Großartige ist: Man ist selbst Teil dieses Klangraumes.

Becher: Die Musiker des Ensemble Modern haben es einmal genannt: „Inszenierung des Klangs mit architektonischen Mitteln“…
Metzmacher: „Architektonisch“ klingt nach Planung. Aber so war es nicht. Bei der Berliner Aufführung verlangte Nono plötzlich, man solle die Lautsprecher umdrehen, gegen die Wand richten. Ich dachte, jetzt ist er verrückt geworden. Doch es ging ihm darum, die Quelle zu verschleiern. Immer werden im „Prometeo“ die Quellen verschleiert.

Alle Metzmacher-Fotos: texthouse

Alle Metzmacher-Fotos: texthouse

Becher: Hans Peter Haller hat erzählt, dass Nono bei Aufführungen nicht habe still sitzen können und immer an den Reglern gedreht habe, auch dort, wo es dem Werk nicht gut tat. Kann man als Interpret aus diesem Verhalten ableiten, dass der „Prometeo“ auch zur Improvisation auffordert?
Metzmacher: Das trifft allenfalls für die Solisten zu. Über weite Teile ist die Partitur in einer Art „Geheimschrift“ verfasst, die nur diejenigen lesen können, die das Werk mit Nono erarbeitet haben. Der Dirigent muss vor allem mit den Pausen-Fermaten umgehen. Da stehen zwar Zeiten drüber (zum Beispiel „5“), aber ich zähle ja keine Sekunden, sondern höre, wann es weiter gehen soll.

Becher: Weite Strecken des Werkes bewegen sich an der Grenze des Hörbaren und damit an der Stille. Fünffache Piani sind keine Seltenheit. Wie leise kann für den Dirigenten leise sein?
Metzmacher: Die mehrfachen Piani bedeuten ja nur eine engere Differenzierung. Siebenfaches Piano ist dann eben so leise wie möglich. So leise also, dass man sich nicht mehr sicher ist, ob man überhaupt etwas hört. Dass einem der eigene Atem zu laut wird. Und genau davon singt der Alt im „Interludio Primo“, von der „schwachen messianischen Kraft“.

Becher: Handelt es sich vielleicht nur um ideelle Angaben, vergleichbar den Texten, die in den Noten stehen, aber nicht erklingen sollen? Oder vergleichbar dem berüchtigten „rotto“, das immer wieder über den Noten steht?
Metzmacher: „rotto“ ist eine richtige Spielangabe, und eine schwierige dazu, weil die Musiker nicht gelernt haben, einen „gebrochenen“ Klang zu erzeugen. Nono wollte nicht, dass der Klang so präsent ist, so heil, so wahr. Deshalb auch oft „arco mobile“, also beweglicher Bogen bei den Streichern: mal am Steg, mal am Griffbrett, mal mit dem Holz, mal diagonal – alles, nur kein gleichbleibender Ton.

Alle Metzmacher-Fotos: texthouse

Alle Metzmacher-Fotos: texthouse

Becher: Wie ist deine Zusammenarbeit mit André Richard, der nach Hans Peter Haller bei allen Aufführungen des Werkes die Klangregie übernommen hat? Fühlt man sich als Dirigent nicht gegängelt, wenn man weiß, dass das, was „hinten rauskommt“, eigentlich von jemand anderem kontrolliert wird?
Metzmacher: Das ist ein Geben und Nehmen. Unser Zusammenspiel funktioniert gut, und das muss es auch. Er ist ja auch der einzige, der das nötige Knowhow für dieses Werk hat. Ich sehe mit Schrecken der Zeit entgegen, wo er das nicht mehr macht.

Becher: Damit berührst du die problematische Frage der Notation. Du hast bereits von der „Geheimschrift“ gesprochen, eine Art Erinnerungsnotation für die Interpreten, mit denen Nono den „Prometeo“ erarbeitet hat. Nachfolgende Interpreten müssen diese nun mühsam dechiffrieren oder sich von den autorisierten Interpreten einweisen lassen.
Was passiert mit solcher Musik, wenn die Original-Interpreten nicht mehr zur Verfügung stehen? Kann Notation dann noch eine Tradierung des Stückes garantieren?
Metzmacher: Ich glaube, das größere Problem besteht darin, das Geld für eine Aufführung aufzustellen. Im Ernst: Es wird ja bereits eine Neuausgabe vorbereitet, und ich hoffe, dass André Richard dort alles rein schreibt, was er weiß. Ich habe dagegen eine handgeschriebene Partitur, und daran sieht man, wie Nono gerungen hat. Da gibt es Stellen, da steht mit rot drüber „no“, dann mit blau „si“ und mit gelb wieder „no“. Man muss also wissen, welche Farbe zuletzt dran war, um zu entscheiden, ob die Stelle nun kommt oder nicht.

Becher: Peter Konwitschny zitiert gern den Satz, das Werk sei klüger als sein Autor. Hat Nono gewusst, was der „Prometeo“ für ein Werk wird?
Metzmacher: In seinem „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“ verwendet Busoni ein faszinierendes Bild: Jeder Komponist habe einen Kreis vor Augen, den er ausschreitet. Bei Wagner können wir diesen Kreis gut erkennen. Bei Beethoven hingegen sehen wir davon nur einen Ausschnitt, und der scheint eine Gerade zu sein; so groß war der Kreis, den Beethoven vor Augen hatte. Der „Prometeo“ ist in diesem Sinne kein fertiges Werk, es ist ein Entwurf für die Zukunft, eine wahnsinnige Behauptung. Deshalb greift die Musik auch weit aus, bis auf die vor-bachische Musik zurück, und endet nicht zufällig mit einer leeren Quinte. Das alles geht über das hinaus, was Nono wusste. Und das ist dem Gegenstand angemessen, denn auch Prometheus hat sich ja übernommen. Nur eine „schwache messianische Kraft“, wie gesagt.

Becher: Nono hat seinen Prometheus ja auch nicht als Mann verstanden, der das Feuer brachte, die Freiheit, sondern als den, der den „Willen nach dem anderen“ verkörpert.
Metzmacher: Das führt uns ganz klar zu der Zeile, die sein ganzes Spätwerk bestimmt: „No hay caminos, hay que caminar. – Es gibt keinen Weg, man muss nur gehen“. Immer auf der Suche nach dem anderen. Das sagt sich leicht, aber Nono hat das wirklich gelebt.

Becher: „Prometeo“ war zunächst als drittes Bühnenwerk Nonos geplant. Jürg Stenzl spricht, in Anlehnung an „Al gran sole carico d’amore“, von einer „azione scenica“, wobei hier allein das Wort „scenica“ entfallen müsste. Nono selbst hat den Inszenierungsgedanken am Ende von sich gewiesen. Wie stehst du zu dieser Frage?
Metzmacher: Ich kann mir das nicht vorstellen. Das Stück hat keine Bühne. Für mich war die Bühne immer der Klang. Und der ist unterwegs, nicht an einem bestimmten Ort.

Becher: Was bedeutet aber vor diesem Hintergrund der Untertitel des Werkes, „Tragödie des Hörens“?
Metzmacher: Ja, was bedeutet das eigentlich? Vielleicht steckt dahinter auch ein Hinweis auf den musikalischen Verlauf. Die „Terza – Quarta – Quinta Isola“ ist eine Wüste, in der während 20 Minuten fast nichts stattfindet, quälend für Interpreten wie Zuhörer. Erst wenn man durch die hindurch ist, erschließt sich das Licht des Schlusses.

Becher: Auch André Richard hat gesagt, Nonos caminar-Metapher weiterspinnend, es gäbe im „Prometeo“ wunderbare Höhenwege, aber auch düstere Täler, durch die man hindurch müsse. Wie kommt es eigentlich, dass man letzten Endes keine Mühe hat, den über zwei Stunden Musik zu folgen?
Metzmacher: Ich bewundere diesen Entwurf sehr. Ein Stück von solcher Länge zu schreiben… „Prometeo“ hat einen sehr großen Atem. Wie bei Bruck-ner gehen die Klänge in die Horizontale, verbreitern sich also gleichsam. Wenn nur Klang auf Klang folgte, würde es nicht funktionieren. Und dann die Pausen-Fermaten… Die Fermaten sind das Meer, der Schluss der offene Ozean, und die Musik dazwischen sind die Inseln. Die Dinge sind also nur lose miteinander verbunden, wie aufgehängt. Das ist wie im „Canto sospeso“, und deswegen hat sich Nono auch gar nicht so sehr verändert, wie immer wieder behauptet wird.

Becher: Der verstorbene Peter Niklas Wilson hat einmal in einem berüchtigt gewordenen Essay in der Zeischrift „Musiktexte“ gegen die esoterische, ja sakrale Rezeption des späten Nono gewettert. Ist der späte Nono heilig gesprochen worden?
Metzmacher: Diese Kritik zielt ja nicht auf die Musik, sondern auf die Rezeption. Es ist beim „Prometeo“ so ähnlich wie beim „Parsifal“, und ich habe mir immer gewünscht, beide Werke in einen Zusammenhang zu stellen. (Nach den beiden Aufführungen des „Prometeo“ am 10. und 11. September wird Ingo Metzmacher die Neueinstudierung des „Parsifal“ in der legendären Inszenierung von Robert Wilson am 12. September 2004 an der Hamburgischen Staatsoper leiten.) Auch „Parsifal“ ist ein Spätwerk, ein „Bühnenweihspiel“, das Publikum badet in Klang.
Aber beide Werke haben keine einheitliche „heilige“ Farbe. Vielleicht hat nur der Schluss jeweils etwas von „Erlösung“, die aber würde nie einen solchen Eindruck machen, wenn es nicht vorher zur Sache gegangen wäre. Im „Prometeo“ stecken viele Kämpfe drin.

Siehe auch:

Rund um die Uhr „Neue Farben für die Ohren“
Das Fünfte Hamburger Musikfest am 10. und 11. September 2004

 

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