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nmz-archiv
nmz 2005/04 | Seite 13
54. Jahrgang | April
Kulturpolitik
Dirigenten und Veranstalter als Kultur-Schnäppchenjäger
Führen die Pläne für eine europäische Harmonisierung
zu einer neuen Ausbeutungskultur?
Europa ist groß und Deutschland ist klein. Seit der Osterweiterung
der Europäischen Union im letzten Jahr ist Deutschland zwar
ins Zentrum Europas gerückt, zugleich aber den Kraftfeldern
der neuen Länder ausgesetzt, auch im kulturellen Bereich. Das
tangiert auch die Musikkultur, denn das Produzieren und Reproduzieren
von Musik ist nach offiziellem europäischem Sprachgebrauch
eine Dienstleistung und soll somit zukünftig einer so genannten
EU-Dienstleistungsrichtline unterliegen.
taktlos-Moderator Theo Geißler
(re.) gefordert: Unter dem Titel „Grenzenlos Musik“
stießen bei der vergangenen Ausgabe von taktlos auf
Bayern2-Radio knallharte Positionen aufeinander (Nachzuhören
im Netz siehe Links). Foto: Hufner
Ein Orchester, ein Komponist, ein Musikvermittler hat sich demnach
dem europäischen Markt genauso auszusetzen, wie ein Maurer,
wie ein Schuster, aber auch wie ein Arzt. Barabara
Haack und Olaf Zimmermann
äußerten sich in der letzten Ausgabe der nmz schon dazu.
Das Ergebnis ist klar, man kann sich künftig die Dienstleistung
„Orchestermusiker“ eben dort holen, wo sie am preiswertesten
ist. Wenn Musikkultur zwar geil, aber vor Ort zu teuer ist, dann
geht man eben zum europäischen Kultur-Media-Markt. So werden
bald in Deutschland gewachsene, wohl zum guten Teil auch kranke
kulturelle Strukturen einfach verbrannt. Die kulturellen Butterberge,
die in Deutschland noch existieren, dürften auf diese Weise
schnell abschmelzen. Noch ist die EU-Dienstleistungsrichtlinie nicht
durch. Gerade in Deutschland wächst der politische Unmut durch
alle Parteien hindurch, mit Ausnahme der FDP, die der Bundesregierung
Protektionismus vorwirft. (Die CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag
sieht neben berechtigten Sorgen aber auch Phantomängste.)
Doch die Problemfragen muss man eigentlich tiefer ansetzen. Kann
man aber Kultur, die ja immer auch gewachsene Identität ist,
einfach nach Maßstäben der wirtschaftlichen Konkurrenz
messen. Sind Kulturgüter, wie eine Theater- und Musiklandschaft,
Güter im Sinne des Warentauschs? Gegenwärtig hat es durchaus
den Anschein als würde auf der politischen Ebene eben dies
ohne Unterschied angenommen. Die Logik ist so einfach wie dumm:
Entweder ist Kultur ein Marktgeschehen, dann unterliegt sie dem
hemmungslosen Wettbewerb, oder Kultur ist dies eben nicht und fällt
aus der Gesellschaft heraus solange diese sich vorrangig über
Wettbewerb und Geld definiert – und beispielsweise nicht über
kommunikatives Gesellschaftsvermögen. Dagegen stünde auch
eine Einordnung von Kunst und Kultur als Dienstleistung der öffentlichen
Daseinsvorsorge, wie es die politische Linke begreift.
Aber auch ohne die gerade entwickelte EU-Dienstleitungsrichtlinie
sind die Probleme des grenzüberschreitenden Kulturverkehrs
nicht zu übersehen. Kürzlich ist mehrfach der Dirigent
Volker Hartung in die Schusslinie von Journalisten geraten. Tilman
Jens hat dessen Umgangsweise mit osteuropäischen Musikern kürzlich
in der von Theo Geißler moderierten Sendung taktlos (vom 6.
März 2005, Bayern2-Radio) als „Sklaverei“ und „Ausbeutung“
gebrandmarkt, nachdem Jens in 3sat-Kulturzeit schon einen ähnlich
vernichtenden Bericht verfasste. Die Musiker müssten, so Jens,
zu teilweise unterirdischen Bedingungen und Bezahlungen ihre Arbeit
leisten und seien den Direktiven ihres „Arbeitgebers“
hilf- und hoffnungslos ausgeliefert. Volker Hartung bestritt die
Vorwürfe vehement. Nein, seine Musiker bekämen keinen
Maulkorb und: nein, seine Musiker würden nicht unterpreisig
beschäftigt. Im Gegenteil, selbst gegenüber Musikern,
die in Deutschland tariflich in Orchestern beschäftigt seien,
würden seine Musiker nicht schlechter dastehen. Das bestätigte
auch Juri Gilbo, der künstlerische Leiter der Russischen Kammerphilharmonie
St. Petersburg mit Sitz in Frankfurt am Main. Er meinte im Gespräch,
dass zum Beispiel Einreisebedingungen für osteuropäische
Musiker so rigide sind, dass in den Visa jeweils stünde, dass
die Musiker nur für den „einen“ Arbeitgeber arbeiten
dürften. Selbst wenn sie andere Tätigkeiten aufnehmen
wollten, wäre ihnen das untersagt. Gilbo hält daher den
Vorwurf Jens’, die Arbeitgeber dieser Musiker würden
diesen Umstand hemmungslos ausnutzen für fragwürdig.
In die gleiche Kerbe schlägt auf seiner Internetseite Volker
Hartung: „Die Europäische Union hat die Annäherung
der europäischen Länder zum Ziel, und zwar mit der Absicht,
die Ungleichheiten zu verringern und eine gerechtere Welt zu schaffen.
In der Praxis bemerkt man jedoch sehr bald, dass jedes Land noch
seine eigenen gesetzlichen Bestimmungen in einer Vielzahl von Bereichen
hat. Besonders auf kulturellem Gebiet haben individuelle Gesetze,
Bestimmungen und Verordnungen zum Teil katastrophale Auswirkungen.“
Hartung warf darüber hinaus die Frage auf, ob nicht vielleicht
die Zukunft des Orchesterwesens – auch in Deutschland –
nicht eher im Bereich der privatwirtschaftlichen Organisation liegen
werde, so wie dies in den USA schließlich auch der Fall sei.
Somit wäre die europäische Frage eher eine nebensächliche
bei der es nur darum gehe, eine staatssubventionierte und gewerkschaftliche
Struktur über ihr gesellschaftliches Ende hinaus zu retten.
Auch hier befindet sich Hartung durchaus im Gedankenfeld der europäischen
Kommission. Diese stellt die Frage, inwieweit mit öffentlichen
Geldern geförderte Unternehmungen privatwirtschaftlichen Initiativen
Konkurrenz machen dürften, oder ob nicht vielmehr durch die
öffentliche Förderung der Wettbewerb, eben auch in der
Kultur, auf diese Weise deutlich verzerrt würde. Es ist dies
zum Beispiel eine aktuelle Frage bei der Kritik der europäischen
Kommission an zusätzlichen Erwerbstätigkeiten des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks (Werbung und Vermarktung).
Was soll man in diesem Zusammenhang von dieser Initiative des Ensemble
Resonanz halten: „Sie können also direkt über die
Subventionierung von Kultur entscheiden. Kaufen Sie einen Musiker!
Ein Musiker kostet 400 Euro und Sie als Investor haben noch mehr
davon: Sie werden eingeladen zu unserer exklusiven Saisonabschlussfeier
mit prominenten Gästen und kleinem Konzert.“ Ist das
ebenfalls schon eine kulturelle Prostitution? Und was unterscheidet
Hartungs Jugendorchester beispielsweise vom Bundesjugendorchester
oder der Jungen Deutschen Philharmonie? Kann sich etwa die Deutsche
Orchestervereinigung auf Dauer hinter ihrer und der deutschen Geschichte
verstecken, oder muss sie nicht vielmehr der praktischen Realität
ins Auge sehen, die derartige Vereinigungen immer mehr als gesellschaftliche
Bremser versteht?
Der Fragenkatalog ist reichhaltig und trifft ins Mark eines Kulturselbstverständnisses,
gerade an dem Ort, dessen öffentliche Förderung von Kultur
seit langem Tradition bürgerschaftlicher Entwicklung war und
ist, nämlich der deutschen Kultur. Die politischen Entwicklungen
der letzten 20 bis 30 Jahre zeigen an, dass die Verankerung von
öffentlich geförderter Kultur in der Gesellschaft auch
angesichts kranker Haushaltskassen sich immer deutlicher ablöst.
Man kann die Menschen schließlich nicht zur Kultur zwingen
wie zur allgemeinen Schulpflicht. Ist aber darum das Mittel der
„Verführung“ mittels Werbung und medialer Heilsversprechen
eine geeignete Wahl?
Das Staatstheater Cottbus wirbt mit dem Slogan: „Wir machen
Staat – Ihr Staatstheater in Cottbus!“ Ist dies nicht
genau das, was Kultur im Rahmen von Gesellschaft ausmacht? Kultur
ist der Nährboden für gemeinschaftliche Verantwortung
und Kunst ihr Ausdruck; nicht im Sinne von Tempelanlagen mit beschränkten
Zugangswegen sondern als explizit politisches Ausdrucksvermögen.
So verstand sich jedenfalls einmal bürgerliches Kunstbegehren,
zu dem Unterhaltung wie der Gestus des Bürgerschrecks oder
der Selbstkritik und Verunsicherung gehört. Doch solche Freiheit
kann kein abstrakter „Markt“ garantieren oder regulieren,
genauso wenig wie eine abstrakte öffentliche Kulturverwaltung.
In der Kultur ist selbstverständlich ebenso Platz für
private Initiativen wie für öffentliche – als Form
geleiteter Selbstorganisation durch den Staat, der wir ja selbst
sind. Wo diese Selbstorganisation nicht mehr funktioniert, fünf
Millionen Arbeitslose bestätigen das auf traurige Weise, da
sind Gesellschaft und Kultur längst zerfallen. Es ist doch
wie eigentlich immer: Die Probleme, die durch die EU-Erweiterung
entstehen, sind multifaktoriell. Wenn man sie nur auf politischer
Entscheidungsebene abhandelt, dann mag das effektiv als Verwaltungsakt
sein. Aber Kultur ist doch eigentlich etwas mehr, nämlich gesellschaftlicher
Ackerbau der Sinne. Das aus den Augen zu verlieren, sind wir auf
dem besten Weg.