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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 1
56. Jahrgang | Juni
Leitartikel
Kasse machen auf Kosten der Kreativen
Nützlich, lästig, im Weg? Über Entwicklungen im
Urheberrecht · Von Martin Hufner
Über kein anderes Thema ist in der nmz in den letzten Jahren so
viel geschrieben worden wie über die Entwicklungen des Urheberrechts.
Das Urheberrecht, das zum Schutz geistiger Leistungen vor deren
willkürlicher Nutzung ersonnen ward, scheint stumpf, bedarf
angeblich der Anpassung an die modernen Zeiten. So wird versucht,
von allen erdenklichen Seiten auf bestimmte Veränderungen
des Gesetzes hinzuarbeiten. Wenn man die Betei-ligten dieses Prozesses
(Verleger, Verwerter, Veranstalter, Gerätehersteller, Privatnutzer,
Urheber) fragt, sind sie sich im Prinzip alle einig: Die Rechte
der Urheber sollen gestärkt werden. Es könnte alles so
einfach sein. Wo alle sich so einig sind, stellt sich die Frage:
Wo gibt es denn überhaupt ein Problem?
Das Problem ist einfach: Sie sind sich nicht wirklich einig.
Alle wollen zwar für die Urheber das Beste, nur sehen sie es jeweils
an anderen, oft konträren Punkten. Daneben leidet die Diskussion
insgesamt an schlechten Verallgemeinerungen und an Unklarheiten
seitens aller Parteien. Das Urheberrecht dient dem Schutze der
Urheber. Doch Urheber ist nicht gleich Urheber, schon gar nicht
im Bereich Musik. Ein kurzer Blick in die finanzielle und soziale
Situation der Komponisten in Deutschland sollte das sofort klarmachen.
Die Anzahl derjenigen Komponisten, die allein von der Herstellung
von Kompositionen leben könnten, ist sehr klein, vielleicht
sind es 1.000. Das Durchschnittsjahreseinkommen eines lebenden
freischaffenden Musikers (darunter sind auch Komponisten zu fassen),
sofern er über die Künstlersozialkasse versichert ist,
liegt nach Versichertenangaben bei etwa 9.500 Euro. Die Ausschüttungen
der musikalischen Verwertungsgesellschaft GEMA fallen dabei kaum
ins Gewicht. Im Jahr 2002 konnte im Durchschnitt jedes der etwa
50.000 bloß angeschlossenen komponierenden Mitglieder 1.589
Euro aus dem Gesamtertragskuchen ziehen. Gewinnstreben oder gar
Profitgier kann man der Masse der Kreativen damit eigentlich nicht
unterstellen. Dennoch geht es bei den Vorschlägen zur Reform
des Urheberrechts vor allem ums Geld und seine Verteilung.
Eine andere Frage ist, was heißt oder ist eigentlich „geistiges
Eigentum“? Geistiges Eigentum ist etwas anderes als Sacheigentum,
es ist ein „Recht auf Zeit“, so die Verfassungsgerichtsmeinung: „… sowohl
die geistig-schöpferische als auch die wiederschaffende Leistung
sind darauf angelegt, nach einiger Zeit frei zugänglich zu
werden“ (BVerfGE 31, 275 ff., Beschluss
vom 8. Juli 1971). Doch so eindeutig das formuliert ist, so unklar
stellt es sich in der Praxis dar. Wie durch ein Wunder sind alte
Werke durch Umarbeitung wieder wie neu (siehe die Beiträge
von Barbara Lieberwirth und Phillipp
Adlung, Seite 5) und rechtlich
wieder geschützt. Eine Art Lebenslifting. Was das Urheberrecht
erlaubt, was es verbietet oder wo es Schranken findet, ist für
einen normalen, nicht juristisch Bewanderten, kaum mehr durchschaubar.
Was darf man kopieren, was darf man zitieren, was darf man verwerten,
wo sind Persönlichkeitsrechte zu beachten, welche Lizenz muss
man gegebenenfalls erwerben, welche Schutzfristen gelten für
was et cetera pp.? Diese Verwirrung sollte eigentlich nicht sein.
Das Bundesverfassungsgericht hat präzisiert: „Die allgemeine
Bedeutung des Urheberrechts und die vielgestaltigen Rechtsbeziehungen,
die in diesem Bereich möglich sind, erfordern klare Rechtsgrundlagen“ (ebenda).
Auch nach den Novellen des Urheberrechtsgesetzes ist man davon
weit entfernt. Das Urheberrecht macht immer mehr Angst, obwohl
es Sicherheit stiften soll. Nach außen wirkt der Kampf ums
Urheberrecht mit seinen Körben geradezu wie eine vorsätzliche
Androhungsbedrohung. Einer solchen Entwicklung sollte von allen
Seiten entgegengewirkt werden.
Das wird auch schon gemacht: Harald Heker, Vorstandsvorsitzender
der GEMA, bemängelt im Interview mit der nmz (Seiten
3 und 4): „Vor allen Dingen wollen wir keine Aktionen machen, die
Kinder und Jugendliche kriminalisieren. Ich glaube, das war ein
Hauptfehler vieler Aktionen (gemeint war beispielsweise ,Copy Kills
Music‘). Man muss die Kinder und die Jugendlichen dort abholen,
wo sie sind und ihnen anhand des Wunders, wie Musik entsteht, deutlich
machen, dass Musik etwas ganz Fabelhaftes ist und dass es sich
lohnt, sich mit diesem Wunder zu beschäftigen. Dann kommt
die Einsicht von allein und wir brauchen keine Strafaktionen und
keine Jugendgerichtsbarkeit.“ Das Gleiche darf man auch auf
Erwachsene übertragen. Das Urheberrecht müsste also wieder
zu einer alltagstauglichen Selbstverständlichkeit werden,
getragen von Einsicht und gegenseitigem Respekt.
Und man sollte sich vor allem überlegen, was durch das Urheberrecht
nicht erreicht werden kann. Dass durch den urheberrechtlichen Schutz
das materielle Wohl der meisten Urheber gesichert würde, ist
nach den vorliegenden Daten nicht zu erwarten. Das neue Urheberrecht
wird daran nichts ändern. Da das Urheberrecht ein abstraktes
Recht ist, ist es ihm auch egal, welchen öffentlich-gesellschaftlichen
Nutzen die geschützte Kunst hat: Dieter Bohlen ist so gut
Urheber wie ein Instrumentallehrer, der einen Bläsersatz für
seine Schüler arrangiert. Profiteure des Urheberrechts, je
nach Ausgestaltung von Vergütungsansprüchen, scheinen
dagegen die zu werden, die gar keine Urheber sind: die Verleger,
Gerätehersteller, Tonträgerindustrie, Rundfunkanstalten,
Veranstalter und eine bloß konsumorientierte Masse. Deren
Interessen sind klar und offensichtlich: Urheberrechte als Rechte
von Urhebern sind kostspielig und damit hinderlich, was sie alle
gleichwohl nicht davon abhält, das Wohl der Urheber für
ihre eigenen Interessen als Schutzschild gegen die jeweils anderen
auszuspielen. Sie alle wären nichts ohne die Urheber, die
man aber im wahrsten Sinne des Wortes in Kauf nehmen muss.