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nmz-archiv
nmz 2007/07 | Seite 6
56. Jahrgang | Juli/Aug.
Magazin
Musikverlage sind nicht gebührenfinanziert
„Dramatische Perspektiven“ oder ein Sturm im Wasserglas? · Eine
Replik von Thomas Tietze
Sind die Musikverlage der natürliche Feind einer jeglichen
künstlerischen Betätigung? Geht es den Verlagen nur um „kleinliche,
pekuniäre Interessen“? Solche Gedanken drängen
sich bei der Lektüre der beiden Artikel von Philipp
Adlung „Dramatische
Perspektiven“ und Barbara
Lieberwirth „Großer Ärger
um Großes Recht“ in der nmz 6/07 (Seite 5) schon nach
wenigen Zeilen auf.
Auslöser dieser Artikel ist offensichtlich die Tatsache, dass
in diesem Jahr die übliche Rundfunkübertragung von Werken
Händels, diesmal des Opern-Pasticcios Giove in Argo von den
Göttinger Händelfestspielen sowie der Oper Riccardo Primo
von den Händelfestspielen in Halle, nicht stattfinden konnte.
Angeblich – so liest man – lagen die finanziellen Vorstellungen
der Rundfunkanstalten und der betroffenen Musikverlage zu weit
auseinander. Nun muss man wissen, dass es seit vielen Jahren eine
sogenannte Regelsammlung gibt, ein bilaterales Abkommen zwischen
den zuständigen Verlegerverbänden und den in der ARD
zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten nebst Deutschlandradio
und dem ZDF. Diese Regelsammlung beinhaltet zahlreiche Festlegungen
für den Umgang miteinander und legt insbesondere fest, wer
wann wieviel an wen zu zahlen hat. Angesichts der Tatsache, dass
diese Regelsammlung eine in beiderseitigem Einvernehmen geschlossene
Vereinbarung und kein einseitiges Diktat etwa der Musikverlage
ist, nimmt es nicht wunder, wenn sich die Musikverlage an eben
diese Regelsammlung halten und die Rundfunkanstalten bitten, ihrerseits
dasselbe zu tun. Wenn dies nicht geschieht, kommen natürlich
schnell Differenzen auf und Rundfunkübertragungen wie die
eingangs erwähnten sind gefährdet – es sei denn,
die Verlage gehen freiwillig hinter die in der Regelsammlung festgelegten – und übrigens
regelmäßig einvernehmlich angepassten – Sätze
zurück. Wenn die Verlage dies aber nicht tun, weil sie der
Meinung sind, eine Vereinbarung sei nun einmal eine Vereinbarung,
können sich offenbar Diskussionen wie die jetzt entfachte
schnell entwickeln, den Verlagen wird dann eben der Vorwurf gemacht,
sie machten ihrerseits die Musik zum „Spielball wirtschaftlicher
Interessen“, es ginge ihnen schlichtweg nur ums Geld. So
weit, so einseitig. Was aber steckt wirklich dahinter?
Angebot und Nachfrage
Das ist recht einfach zu beantworten. Viele große Musikverlage
publizieren sogenannte wissenschaftlich-kritische Ausgaben. Das
sind Neuausgaben von Werken, von denen es bislang nur unzureichend
edierte Ausgaben gab, zu denen neue Quellen aufgefunden wurden
oder die schlichtweg veraltet sind. Es entspricht daher dem dringenden
Wunsch vieler Musiker, also der Praxis selbst, Ausgaben, die auf
dem wissenschaftlich allerneuesten Stand sind und damit den vom
Komponisten gewollten Intentionen so nah wie möglich kommen,
für ihre künstlerische Tätigkeit nutzen zu können.
Diesem Wunsch kommen die Verlage – die das als eine verlegerische
Verpflichtung ansehen – nach, indem sie solche wissenschaftlich-kritischen
Neuausgaben produzieren. Das ist das simple System von Angebot
und Nachfrage. Es ist also beileibe nicht so, dass, wie Barbara
Lieberwirth in ihrem Artikel fälschlich schreibt, solche wissenschaftlichen
Neuausgaben alle 70 Jahre neu erarbeitet werden, um sich eben alle
70 Jahre wieder ein schönes Zubrot zu verdienen, sondern primär,
um den Wünschen der musikalischen Praxis nachzukommen. Zum
einen gilt der Schutz für solche Ausgaben gemäß § 70
des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) nur für 25 Jahre – und
nicht etwa 70 Jahre nach dem Tod des Autors – nach Erscheinen
der entsprechenden Ausgabe, zum anderen kann ein Verlag eine bestehende
Ausgabe natürlich nicht ohne weiteres erneut herausgeben und
damit eine neuerliche Schutzfrist von 25 Jahren in Gang setzen.
Das wird so auch von keinem Verlag praktiziert. Ein Verlag – oder
natürlich auch ein Herausgeber – wird niemals eine Neuausgabe
eines Werkes machen wollen, wenn nicht wirklich starke wissenschaftliche
Gründe (etwa im Falle neuer Quellenfunde etc.) für eine
solche Neuedition sprechen. Alles andere wäre hanebüchen
und ökonomischer Nonsens. Selbstverständlich aber sind
konkurrierende Verlage berechtigt, Werke, die bereits anderweitig
erschienen sind, selber einer neuen wissenschaftlichen Edition
zu unterziehen, insofern das Werk als solches bereits urheberrechtlich
frei ist, der Komponist also mindestens 70 Jahre tot ist. Aber
auch das wird nur dann geschehen, wenn zwingende Gründe für
eine solche weitere Neuausgabe sprechen. Vom regelmässigen „Vergolden“ durch
immerwährende Neueditionen kann also wirklich keine Rede sein. Übrigens
besteht auch ein vitales Interesse der Musikwissenschaft an solchen
Ausgaben, die ihr Fach nicht zuletzt auch mit solchen Veröffentlichungen
nachgerade legitimiert.
Aufwändige Ausgaben
Die Arbeit an solchen Ausgaben selbst ist für alle Beteiligten
in hohem Maße aufwändig, weswegen der Gesetzgeber bei
der Einführung des neuen Urheberrechtsgesetzes im Jahre 1965
auch den erwähnten Paragraphen über diese wissenschaftlich-kritischen
Ausgaben in das Gesetz aufgenommen hat. Ähnliches gilt übrigens
auch in Spanien und seit kurzem auch in Groß-britannien.
Ohne die Möglichkeit einer Tantiemeneinnahme, die ohnehin
nur 25 Jahre (und eben nicht 70 Jahre nach dem Tod des Komponisten!)
nach Erscheinen der jeweiligen Ausgaben möglich ist, wären
die meisten kritischen Editionen schlechterdings nicht realisierbar – und
von der GEMA oder anderen Verwertungsgesellschaften wie der VG-Musikedition
gibt es im Falle des Großen Rechtes nichts. Nur mit dem sogenannten
Materialmietentgelt alleine lassen sich diese Ausgaben nicht amortisieren.
Dies dürfte vor dem Hintergrund,
dass die Neuedition einer Oper von Mozart, einer großen Oper
von Berlioz oder auch einer Oper von Händel leicht um die
80.000 Euro kosten kann, leicht nachvollziehbar sein. Immerhin
gehören zu einer solchen Opernedition eine computergesetzte
(der Computersatz übrigens ist keineswegs billiger als der
gute alte Notenstich) Partitur, Stimmen, teuer zu erstellende Klavierauszüge
sowie gegebenenfalls Chorauszüge. Allein das Papier, dessen
Opazität den hohen Ansprüchen der Praxis genügen
muss, verschlingt schon eine Menge Geld. Vor diesem Hintergrund
sind die Senderechte also nicht, wie in der nmz zu lesen war, ein
hübsches Zusatzsalär, das „der Verlag gerne einsteckt“,
sondern notwendige Voraussetzung einer wenigstens ansatzweisen
Amortisierung der Investitionen. Immerhin ist ein Musikverlag ein
Wirtschaftsunternehmen und keine Stiftung, und wird nicht von Zwangsgebühren
(wie im Falle Rundfunk) oder aus öffentlichen Geldern und
Sponsorentöpfen finanziert.
Ein Musikverlag muss Geld verdienen – was er übrigens
mit wissenschaftlichen Ausgaben nur zu einem kleinen Teil tun kann.
Ist das für ein Wirtschaftsunternehmen mit vielen Mitarbeitern
so verwerflich? Ohne entsprechende Einnahmen wären solche
Ausgaben – das sei nochmals betont – für die Verlage
jedenfalls nicht realisierbar, es gäbe dann eben keine wissenschaftlichen
Neuausgaben. Und warum eigentlich wird dem Verlag – so ist
es ebenfalls zu lesen – vorgeworfen, er trachte nur danach,
seine Risiken zu minimieren? Genau das ist doch betriebswirtschaftliches
Einmaleins und oberste Pflicht eines Wirtschaftsunternehmens. Übrigens
wäre die beste Methode für einen Verlag zur Risikominimierung,
teure Ausgaben wie die von Opernmaterialen – vor allem von
Randwerken des Repertoires, Mozart ist da unter rein kaufmännischem
Aspekt schon spannender als eine unbekannte Barockoper – schlichtweg
zu unterlassen. Man könnte sich dann in aller Ruhe den wirklich
lukrativen Geschäftsbereichen zuwenden!
Informationsdefizite
Sehr bedauerlich ist es, dass manche Partner der Musikverlage über
deren Tätigkeiten und Arbeitsfelder offensichtlich nicht ausreichend
informiert sind. Hier muss schnellstens angesetzt und dieses wirklich
erschreckende Informationsdefizit behoben werden. Dann müsste
man auch nicht mehr – wie jetzt in der nmz – lesen,
dass Verleger ohne Zuschüsse von Forschungsgemeinschaften
und Förderstiftungen „keinen Griffel mehr in die Hand
nehmen“. Zwar wird in der Tat bei großen vielbändigen
Editionsvorhaben wie etwa Gesamtausgaben eine Forschungsgemeinschaft
dahinterstehen. Die allgemeinen Verlagskosten (wie z.B. das Lektorat)
sowie Satz-, Druck-, Marketing- und Vertriebskosten werden von
diesen Stiftungen jedoch nicht getragen. In der Regel sind es ausschließlich
die wissenschaftlichen Arbeiten der ja nicht vom Verlag angestellten
Herausgeber selbst, die so fremdfinanziert werden. Außerdem
wird lange nicht jede editorische Arbeit fremdfinanziert, die Verlage
veröffentlichen immerhin zahlreiche Einzelwerke, die eben
nicht in einer groß angelegten Reihe – die dann eben
in Bezug auf die herausgeberische Tätigkeit oftmals gefördert
werden – erscheinen. Sollte es allerdings eine Verlagsförderstiftung
geben, die die Kosten des Verlages komplett deckt, wären die
Verlage sicher dankbar, deren Adresse zu erlangen. Dann nämlich
könnte man in der Tat vollkommen risikofrei arbeiten und anschließend,
wie es Philipp Adlung schreibt, das „Geld ganz alleine einstecken“.
Davon aber sind die Musikverlage nun doch Lichtjahre entfernt.
Und: Auch ohne die rein wissenschaftliche Tätigkeit bei großen
Projekten finanzierenden Forschungsgemeinschaften würden die
entsprechenden Ausgaben – und damit die Zugänglichmachung
dieser Editionen für die musikalische Praxis – schlichtweg
nicht finanziert werden können.
Verlage am Pranger?
Fragen muss man sich natürlich auch, warum nur die Verlage
an den Pranger gestellt werden, während den Rundfunkanstalten
hier höchstens ein erhobener Zeigefinger gezeigt wird. Denn – daran
sei ausdrücklich erinnert – es gibt nach wie vor noch
den Kultur- und Bildungsauftrag der Rundfunkanstalten, dem die
Kulturredaktionen allerdings, das sei ohne weiteres konzediert,
mangels Etat längst nicht mehr in dem Maße nachkommen
können, wie sie es sicher selber gerne täten. Dass das
Geld dafür wohl schon andernorts vorhanden ist, nur eben für
andere Zwecke genutzt wird, mag die Ursache hierfür sein,
steht aber leider auf einem anderen, einem politischen Blatt. Trotzdem
ist zu fragen, warum für den Kulturbereich immer weniger Gelder
zur Verfügung stehen. Würden hier angemessene, dem Kulturauftrag
entsprechende Verteilungen erfolgen, könnte eine Situation
wie die nun diskutierte gar nicht erst auftreten. Man müsste
dann auch nicht mehr warten, bis auch bei arte oder 3Sat die tiefe
Nacht hereingebrochen ist, um eine Oper im Fernsehen zu sehen.
Was ist hier zu tun? Die Musikverlage verkennen die eben geschilderte
Situation der Rundfunkanstalten nicht, wenngleich sie nur schwer
zu akzeptieren vermögen, dass hier nicht bereits innerhalb
der Rundfunkanstalten und von politischer Seite im Sinne der Erfüllung
des Kulturauftrags gegengesteuert wird. Die Gelder sind ja vorhanden.
Und wohl gemerkt: Die Verlage sind im Gegensatz zu den Rundfunkanstalten
nicht gebührenfinanziert. Aber gerade weil die Verlage die
Situation durchaus realistisch einschätzen – und natürlich
auch, weil sie keine Rundfunkübertragungen gefährden
wollen –, sind sie auch bereit, zusammen mit den Rundfunkanstalten
im gemeinsamen (!) Interesse der Verwertung der Musik und im Interesse
der Musikveranstalter nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
Die Frage ist nur, wie weit ein mögliches Entgegenkommen gehen
kann, denn, das wurde ausführlich geschildert, die Verlage
benötigen die ihnen zustehenden Einnahmen dringend, um ihre
teuren Editionen zu refinanzieren. Dennoch sind die zuständigen
Verlegerverbände (DMV/VdB) bereit, sich mit den Sendeanstalten
an einen Tisch zu setzen, um die einschlägigen Regelsammlungen,
die in einigen Teilen sicherlich einer gewissen Revision bedürfen,
einer erneuten Betrachtung zu unterziehen. Doch auch die Sender
sind gefragt, hier Augenmaß walten zu lassen und immer auch
die Situation der Verlage angemessen zu berücksichtigen. Für
das sogenannte Kleine Recht (Aufführungen und Sendungen von
Nicht-Bühnenwerken) haben solche ersten Gespräche bereits
stattgefunden, in denen die Verleger auch durchaus Verständnis
für die Situation der Kulturredaktionen gezeigt und ein gewisses
Entgegenkommen – zum gemeinsamen Vorteil – signalisiert
haben.
Diese Gespräche aber sind zurzeit aus nicht bei den Verlagen
liegenden Gründen ausgesetzt. Der Deutsche Musikverlegerverband
nämlich wartet schon seit Monaten darauf, dass die Rundfunkanstalten
den wegen eines Wechsels an der Spitze der Verhandlungskommission
der Rundfunkseite abgerissenen Gesprächsfaden wieder aufgreifen.
Solche Gespräche aber sind in Zukunft durchaus auch in Bezug
auf das sogenannte Große Recht möglich und von den Verlagen
angesichts der vielen unnötigen Diskussionen durchaus nicht
unerwünscht, sitzt man letztlich doch in einem Boot und will
weder Aufführungs- noch Übertragungsverhinderer sein.
Unerwünscht sind jedoch Polemiken, verbunden mit zum Teil
auf Unkenntnis und Unwissen beruhenden Behauptungen, die in der
Sache keinen Schritt weiterführen. Auch erwarten die Musikverleger,
dass die Rundfunkanstalten ebenfalls Verständnis für
die wirtschaftliche Situation und die wirtschaftlichen Zwänge
der Verlage zeigen. Das nämlich ist im Chor der Klagen bislang
wenig zu erkennen gewesen.
In Sachen Händel
Übrigens hatte der betroffene Musikverlag in Sachen Giove
in Argo und Riccardo Primo ein großzügiges Angebot zur
Lösung
unterbreitet, das allerdings aus vom Verlag nicht zu vertretenden
Gründen nicht zum Tragen kam. Dieses Angebot hätte den
Vorstellungen der zuständigen Rundfunkanstalten entsprochen
und damit auch die diesjährigen Rundfunkübertragungen
ermöglicht. Krokodilstränen sind also sicher fehl am
Platze, zumal der betroffene Verlag schon vor dem Erscheinen der
beiden nmz-Artikel mit der Leitung der Händel-Festspiele Halle
ein Lösungsmodell entwickelt hatte, das in vieler Hinsicht
sogar noch über die Vorstellungen der Rundfunksender hinausgeht.
Eine Situation wie bei den Händelfestspielen 2007 dürfte
also nach menschlichem Ermessen in Zukunft nicht mehr auftreten.
Sind das wirklich „dramatische Perspektiven“ oder nicht
doch viel eher ein Sturm im Wasserglas?