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nmz 2007/10 | Seite 1
56. Jahrgang | Oktober
Leitartikel
Wenn Unwissen Oper transportieren soll
Eine Dauer-Diskussion findet neue Anlässe in Bonn und Berlin · Von
Gerhard Rohde
Früher stritten Komponisten und Dichter über den Vorrang
von Wort und Ton in der Oper – siehe „Capriccio“ von
Richard Strauss, dies nur als ein Beispiel. Heute streiten Komponisten
und Dichter oft in einer Art Opern-Entente cordial wider das Regietheater,
genauer: das Regisseurstheater. Dieses bemächtigt sich vor
allem des tradierten Repertoires, scheut aber auch nicht vor schöpferischen
Novitäten zurück. Zwei Beispiele werden in dieser Ausgabe
ausführlicher beschrieben: Die Uraufführung von Hans
Werner Henzes „Phaedra“ an der Staatsoper Unter den
Linden in Berlin und die seltsame Produktion von Moritz Eggerts
Oper „Freax“ am Bonner Theater. Dazu unsere Berichte
auf den Seiten 3 bis 5. Die beiden Fälle könnten Anlass
sein, einmal mehr über das Thema Oper und Regisseurstheater
zu diskutieren.
Berlioz als Popkomponist: Szene aus der Salzburger Benvenuto-Cellini-Aufführung.
Foto: Charlotte Oswald
Regie, früher auch Spielleitung genannt, hat es in der Oper
schon von Anfang an gegeben. Schließlich mussten Sänger
und Tänzer ja erfahren, wann und wo sie aufzutreten hätten.
Das Opern-Theater, das man gern als Regietheater verteufelt, erhitzt
die Gemüter allerdings erst seit... ja seit wann denn eigentlich?
Richard Wagner hatte schließlich selbst sehr konkrete Vorstellungen
von „seiner“ Szene, auch wenn er mit „seinem“ ersten „Ring
des Nibelungen“ anno 1876 in Bayreuth höchst unzufrieden
war. „Beim nächsten Mal machen wir alles anders“,
soll er gesagt haben. In einer Zeitmaschine könnte man vielleicht
via Computersimulation seine Meinung über den „Jahrhundert-Ring“ von
Patrice Chéreau und Pierre Boulez anno 1976 einholen? Das
würde sicher sehr spannend sein. Nun kommt man beim Thema
Oper und Regisseurstheater mit pauschalen Wertungen nicht weiter.
Man muss schon bereit sein zu differenzieren, vor allem aber auch
einen gewissen Überblick über die Totale, der – um
es einmal zeitlich einzugrenzen – Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
zu gewinnen. Wieland Wagners Bayreuther „Entrümpelungen“ empörten
von 1951 an konservative Wagnerianer. Sie vermissten die gewohnten „Bilder“,
stattdessen blickten sie in karge Bühnenräume voller
ungewohnter Lichtspiele, wobei sie übersahen, dass schon Adolphe
Appia, wenn auch nur in Skizzen, in den Zwanziger Jahren solche
Licht-Architektur-Szenen für Wagners Musikdramen konzipiert
hatte.
Das Optische einer Inszenierung umfasst in der Regel auch nur
einen Teil-
aspekt einer neuen szenischen Interpretation. Diese kann, im scheinbaren
Kontrast zur tradierten Aufführungsgeschichte, durchaus andere
Aspekte des Werkes betonen, Dinge, die früher vielleicht nicht
so interessant erschienen, stärker in den Vordergrund rücken,
ohne die Grundkonzeption in Frage zu stellen. Was jedoch nicht
zulässig sein sollte: Die Formate des Operndramas, der Figuren,
deren tragischer Fallhöhen, so zu verkleinern bis Wagners
Menschenpaare schließlich wie Heimchen am kleinbürgerlichen
Küchentisch völlig unglaubhaft große Klagelaute
ausstoßen. Das Geniale an Chéreaus Transposition des
Wotan-Germaniens ins neunzehnte Jahrhundert – wo es philosophisch-thematisch
ohnehin hingehört – war doch, dass die Figuren ihr großes
dramatisches Format behielten, bereichert durch eine lebendige
schauspielerische Gestik und eine höchst differenzierte Psychologisierung.
Chéreaus „Ring“ bewies, dass die Geschichte
des neunzehnten Jahrhunderts mit seinen Erfindungen, Überhebungen,
Anmaßungen und schließlich dem Absturz in den Menschheitsuntergang
des Weltkriegs quasi mythische Katastrophendimensionen besaß.
Diese Qualitäten eines Chéreau erreichten vor, neben
und nach ihm leider nur wenige Regisseure: Ruth Berghaus natürlich,
auch Harry Kupfer,
Götz Friedrich, in anderen Operngenres Jean-Pierre Ponnelle – es
gäbe noch den einen oder anderen Namen mehr. Doch auch da
schon finden sich oft und eher noch schleichend Verkleinerungen,
Banalisierungen, nichtsbringende Pointierungen, Verwitzelungen.
Einen vorläufigen Tiefpunkt des Regisseurs-Operntheaters boten
die diesjährigen Salzburger Festspiele mit einer flachköpfigen „Freischütz“-Inszenierung
und einer völlig überdrehten Pop-Show für Berlioz’ „Benvenuto
Cellini“ (siehe unser Bild oben). Manche Leute fanden das
großartig, aber wenn man sie (verstellt) fragte, worum es
denn in der Geschichte ginge, wussten sie keine Auskunft. Willst
du Schau, geh’ in die Oper. Auf diesem Niveau ist inzwischen
aber nicht nur das Publikum angelangt, auch viele Regisseure, die
sich vornehmlich aus Schauspiel, Film oder der Popszene rekrutieren,
scheinen auf der Opernbühne vor allem ihren privaten Spaß zu
inszenieren. Und man fragt sich oft schon mit leiser Verzweiflung,
ob es denn in den Opernhäusern keine ästhetischen Qualitätskriterien
mehr gibt, um diesen galoppierenden Niveauverlusten Einhalt zu
gebieten.
Natürlich, wenn, um auch einmal auf die Moderne zu kommen,
ein Intendant einen zwar etwas frechen, aber insgesamt doch eher
zur Konvention neigenden Komponisten wie Moritz Eggert mit einem „wilden“ Szeniker
wie Christoph Schlingensief kombiniert und sich dann wundert, dass
das nicht funktioniert, dann muss man auch Intendanten der Ahnungslosigkeit
zeihen. Im übrigen scheint einem die Bonner Affäre völlig überzogen.
Da wird eine Wichtigkeit suggeriert, die das Unternehmen selbst
bei Gelingen nicht gehabt hätte.
Die entscheidenden Opernwerke der letzten Zeit, die in der Lage
sind, für das Musiktheater neue ästhetische Wege zu weisen,
verbinden sich mit Namen wie Beat Furrer („Fama“),
Adriana Hölszky („Tragödia“, eine Oper ohne
Akteure), Olga Neuwirth, Matthias Pintscher („L’Espace
dernier“), Georg Friedrich Haas, Helmut Oehring, Klaus Lang
(„Perser“), Jörg Widmann oder José M. Sanchéz-Verdu.
Vor ihrer Zeit stehen natürlich die Namen eines Nono, Berio,
Schnebel oder Kagel. In ihren Werken für das Musiktheater
geht es nicht darum, ob Krüppel von Krüppeln oder von
Nicht-Krüppeln, die Krüppel mimen, dargestellt werden.
Apropos Henze und „Phaedra“. Es gab einmal die gute
Sitte, bei der Uraufführung eines Werkes nicht sogleich mit
einer neuen Interpretation und abweichenden Bebilderung zu beginnen,
sondern in etwa die Vorstellungen des Komponisten und Librettisten
zu akzeptieren. Besonders ein Hans Werner Henze hätte darauf
einen Anspruch.