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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 1
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Leitartikel
Radio-Theorie
„Ein Mann, der etwas zu sagen hat und keine Zuhörer
findet, ist schlimm dran. Noch schlimmer sind Zuhörer dran,
die keinen finden, der ihnen was zu sagen hat“. Bert Brechts
Thesen aus seiner „Radiotheorie“ (verfasst um 1930 mit
dem Ziel, aus dem Distributions-Apparat Rundfunk einen Kommunikations-Apparat
zu formen) wirken heutzutage angesichts des Zustandes unserer Anstalten
des öffentlichen Rechts durchaus aktuell.
Da denkt ein mitteldeutscher Rundfunk laut darüber nach, den
Begriff „Kultur“ aus seinem Programm-Namen zu entfernen:
Eine Umfrage hätte belegt, dass gerade junge Menschen vor diesem
Label zurückschreckten, es signalisiere Anstrengendes. Nördlich
wird eine Welle „NDR-Kultur“ getauft, wohl weil sich
ihr glatt formatierter Inhalt so gerade noch gesetzeskonform anbringen
lässt (es gibt leider einen sperrigen „Kulturauftrag“).
Und in Deutschlands Mitte liefert der Hörfunkdirektor des
Hessischen Rundfunks Heinz Sommer, lange Jahre im konkursvorbereitenden
Präsidium des Deutschen Musikrates als Medienspezialist zu
Gange, die mentale Vorlage für solche Verblödungs-Mechanismen.
In einem Referat beim Treffen der Europäischen Rundfunkunion
vor zwei Monaten in Frankfurt plättierte er als offizieller
ARD-Vertreter unter der Überschrift „Neue Formen des
Kulturradios in einer veränderten Welt“ den Bodensatz:
„Der Radiohörer hört Radio – nicht Kultur…
in allererster Linie Radio und nicht Inhalte“. Die langatmigen,
seichten und komplett quotengesteuerten Konsequenzen für die
Programmgestaltung, die Sommer dann ausbreitet, seien hier erspart.
Sie sind als Privatfunker-Katechismen bekannt.
So langsam muss man aber fragen: Wer schützt den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk vor sich selbst. Wenn Verantwortliche in diesen Sendern,
die ihre teuren Publikums-Programme doch schon längst dem populistischen
Niveau der privaten Konkurrenz angeglichen haben, nun auch ihre
Kultur-Wellen dem plumpen Stimmungsmesser von Media-Control unterwerfen,
verwirken sie den Anspruch auf Gebühren-Finanzierung. Der öffentlich-rechtliche
Rundfunk ist Säule einer qualitativen Demokratie, in der die
Väter des Grundgesetzes sehr bewusst vom direkten Plebiszit
abgerückt sind. Es hat seinen Sinn, dass Gerichtsurteile nicht
per Phone-Voting gefällt werden. Hinter der Phrase, man verwalte
die Gelder der Kunden – gemeint sind die Hörer –
besonders „kundenfreundlich“, indem man ein Programm
auf Grundlage möglichst hoher Akzeptanz anbiete, verstecken
sich Fantasielosigkeit, Feigheit und der Grundirrtum, Zahlen seien
geeignete Steuerelemente für Kultur. 1927 schrieb Bert Brecht
in seinem Gedicht „700 Intellektuelle beten einen Öltank
an“ solchen „Direktoren“ auf den Leib:
Darum (Öltank) erhöre uns / Und erlöse uns
von dem Übel des Geistes. Im Namen der Elektrifizierung /
Des Fordschrittes und der Statistik…