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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 12
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Medien
Formatleasing: Bayern 4 für WDR
Brief an Norbert Seidel, stellvertretender Intendant des WDR
Sehr geehrter Herr Professor Seidel,
anknüpfend an Ihre medienpolitische Verantwortung und Ihr medienökonomisches
Theorieinteresse wende ich mich an Sie mit einem praktischen Vorschlag,
eine Kosten senkende Verschlankung des Westdeutschen Rundfunks betreffend.
Knapp gesagt, bitte ich Sie, einmal ernsthaft zu prüfen, ob
es nicht sinnvoll sein könnte, das dritte Hörfunkprogramm
auslaufen zu lassen und die frei werdende Übertragungskapazität
dazu zu nutzen, das anspruchsvolle Programm eines anderen, der klassischen
Musik gewidmeten ARD-Senders im Sendegebiet des WDR auszustrahlen,
der bislang nicht empfangen werden kann. Zu denken ist hierbei etwa,
aber durchaus nicht ausschließlich, an Bayern 4. Ich werde
diesen unkonventionellen Vorstoß im Folgenden näher begründen.
Die Pflege klassischer Musik hat mit jeder „Programmreform“
des Westdeutschen Rundfunks an Gewicht verloren und ist seit geraumer
Zeit zu einer quantité negliable geworden. Mit „Pflege“
meine ich nicht, zum x-ten Mal die „Jupitersinfonie“
(kennerhaft als „Köchel 551“ apostrophiert) in
einer Standardeinspielung mit den Berliner Philharmonikern unter
Karajan zu bringen, begleitet von altbekannten Hintertreppenanekdoten
über „Wolfgang Amadés“ tragische Neigung
zum Schuldenmachen – wie im „Klassikforum“ üblich.
Wer Klassik auf solchem Niveau „genießen“ möchte,
kann sich für wenig Geld „Karajan dirigiert die schönsten
Sinfonien“ und „Klassik für Kids – Mozart
was here“ von Justus Frantz zulegen. Von „Pflege“
wird man gleichfalls nicht sprechen können, wenn beispielsweise
Herr Henning Venske nach Köln reist, „um sich auch mal
was Gutes zu gönnen“ (Selbstzitat!), Musikschnipsel aus
Sendungen zusammenmixt, die zufällig auf den Tag genau vor
25 Jahren im Westdeutschen Rundfunk gesendet worden sind und dabei
– so geschehen in den „Musikpassagen“ am 9. April
2003 – einen winzigen Ausschnitt aus „The Rake’s
Progress“ in einer drittklassigen Produktion der Dortmunder
Oper mit Hermann-Löns-Gesängen, Liedermacher-Geklampfe
und sentimentalen Reminiszenzen aus dem einstmals von ihm selbst
moderierten „Folklore-Basar“ kombiniert. Solche zum
Programm erhobenen Potpourris der Beliebigkeit wird man mit Adorno
barbarisch nennen müssen, auch wenn sie im Gewand eines genreüberschreitenden
„crossculture“ daher kommen. Angesichts der traditionsreichen
Verdienste der deutschen Rundfunkanstalten um die Förderung
zeitgenössischer Musik muss es vor allem befremden, dass Gegenwartskomponisten
im Programm von WDR 3 keinerlei Rolle mehr spielen.
Es soll nicht bestritten werden, dass es Aufgabe des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks ist, spezielle Zielgruppen entsprechend ihrem Musikgeschmack
zu versorgen. Denkbar wäre etwa das Angebot eines Seniorenradios
mit gefällig moderierten Appetithäppchen aus dem Standardrepertoire
des 19. Jahrhunderts inklusive Themennachmittagen mit Ausflügen
in die Welt der Operette, des Musicals, der Volksmusik, der Discomusik,
der Protestsongs et cetera. Es stellt sich nur die Frage, ob eine
solche Aufgabe wirklich ein kostenintensives eigenes Programm (einschließlich
Orchester) erfordert oder nicht besser im Verbund aller ARD-Sender
realisiert werden kann.
Ein derartiger Umbau ließe sich durchaus sozialverträglich
bewerkstelligen. So könnten überzählige Musikredakteure
bis zu ihrer Pensionierung im vierten Hörfunkprogramm eingesetzt
werden. Gewiss müsste man für eine gewisse Zeit auf Neueinstellungen
verzichten, aber müssen wir in diesen Zeiten, in denen öffentlich
finanzierte Dienstleistungen grund-sätzlich auf dem Prüfstand
stehen, nicht alle Opfer bringen?
In diesem Sinne erhoffe ich mir eine uneingenommene Prüfung
meines Vorschlags. Ich würde mich freuen, Ihre Meinung zu erfahren.