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nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 8
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Medien
Eine Beruhigungsspritze für den Anfang
Zur Programmreform Bayern 4 Klassik und Bayern 2
Zur Eröffnung gab es eine Beruhigungsspritze: Kultur sei
und bleibe ein wesentlicher Bestandteil des öffentlich-rechtlichen
Auftrags, versicherte BR-Hörfunkdirektor Johannes Grotzky den
Teilnehmern des Pressegesprächs zur Programmreform bei Bayern
4 Klassik und Bayern 2. Auch nach dem 1. Juli – dem Stichtag
der Programmreform – werde der BR mit seinen Kulturprogrammen
„gegen den Strom schwimmen“.
Ziel der Programmreform seien deswegen „keine stromlinienförmigen
Formate“, es müsse aber darum gehen, Hörergewohnheiten
stärker aufzunehmen. Ähnlich äußerte sich Axel
Linnstädt, Leiter der Hauptabteilung Musik: Man werde bei Bayern
4 Klassik und Bayern 2 weiterhin Minderheiten bedienen. Diese Minderheiten
dürften aber nicht zu klein werden.
Über den Dächern
der Hörer: Antennen auf Empfang. Foto: Martin Hufner
Wie groß oder klein diese Minderheiten aktuell sind, darüber
gibt die neueste „Funkanalyse Bayern“ Aufschluss, deren
Zahlen Johannes Grotzky vorstellte: demnach hat Bayern 4 Klassik
eine Hörerquote von 2,6 Prozent (0,7 Prozent mehr als gegenüber
der letzten Erhebung; 1 Prozent entspricht etwa 30.000 Hörern).
Bayern 2 kommt auf 3,9 Prozent (Steigerung um 0,6 Prozent). Trotz
dieser kurzfristigen Hörergewinne sei über die letzten
zehn Jahre jedoch ein kontinuierlicher Schwund der Bayern 4- und
Bayern 2-Hörer zu beklagen, so Grotzky. Die kritische Marke
sieht Klaus Kastan, der neue Wellenchef bei Bayern 2, bei zwei Prozent
erreicht: Ein öffentlich-rechtlich finanziertes Radioprogramm,
dessen Hörerquote unter zwei Prozent falle, laufe Gefahr, in
Frage gestellt zu werden.
Sorgen macht den Verantwortlichen beim BR auch das Durchschnittsalter
der kulturinteressierten BR-Hörer: Der durchschnittliche Bayern
2-Hörer sei 56 Jahre alt, so Kastan. Wesentliches Ziel der
Programmreform beider Wellen ist es deswegen, viel stärker
als bislang junge und jüngere Hörer anzusprechen.
Bayern 4 Klassik
Mit dem neuen Bayern 4 Klassik-Programm, das auch stärker
als bislang als „Promotionfläche für die eigenen
Klangkörper“ (Johannes Grotzky) dienen soll, will Wellenchef
Jürgen Seeger eine „Antwort auf die Klassikkrise“
geben. Der Ansatzpunkt Seegers und seiner Redaktion ist ein doppelter:
als neue Zielgruppe soll Bayern 4 Klassik mit neuen Sendungen zum
einen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erreichen. Eine weitere
neue Zielgruppe sind Klassikeinsteiger und eine breitere Hörerschaft,
die von Bayern 4 Klassik bislang nicht erreicht wurde.
Im neuen Programmschema ab 1. Juli hat sich das Angebot für
Kinder und Jugendliche im sonntäglichen Vorabendprogramm niedergeschlagen:
Das vom Kinderfunk produzierte „Do-Re-Mikro“ (17.05
bis 18.00 Uhr) soll junge und jüngste Hörer zum Zuhören
und Mitmachen einladen. „19/4“ (Sonntag, 19.04 Uhr)
richtet sich an Jugendliche und soll laut Info-Broschüre klassische
Musik mit Lifestyle und Zeitgeist zusammenbringen und Überschneidungen
zwischen Klassik und Pop ausloten.
Darüber hinaus wird Bayern 4 Klassik laut Jürgen Seeger
die Zusammenarbeit mit Schulen und Musikschulen suchen. Ziel sei
eine „Offensive für musikalische Erziehung“ und
ein „Beteiligungsprogramm“. Zum Weltkindertag am 20.
September werde es deswegen ein zwölfstündiges Spezialprogramm
von, über und mit Kindern geben, das sich als „landesweite
Aktion für gute Musik und bessere musische Erziehung“
versteht.
Bei den Klassikeinsteigern, die Bayern 4 Klassik ansprechen möchte,
lauten die neuen Schlagwörter „Leichtigkeit“ und
„Moderation“. Von Sendungen wie „Allegro“
(täglich von 6.00 bis 9.00 Uhr), die „heiter, munter,
bewegt“ ausfallen sollen, erwartet sich Seeger eine „leichtere
Anmutung“ des Bayern 4 Klassik-Programms.
„Bayern 4 Klassik“ soll sich stärker als bislang
als „angenehme Begleitung durch den Tag“ (Pressetext)
präsentieren und den „Elfenbeinturm verlassen“.
Ziel sei ein Radioprogramm, das „klassisch unterhält“
und mit klassischer Musik das „Lebensgefühl seiner Hörer
harmonisiert“ (Seeger). Daneben setzt Seeger auf mehr Moderations-
und Wortanteile als bislang: Bayern 4 Klassik wolle weg vom bloßen
Abspielen der Musik. Klassikeinsteiger sollen mit kurzen Selbstaussagen
der Komponisten und Sendungen wie „Starke Stücke –
Meisterwerke der Musik“ (Samstag, circa 16.45 Uhr) gewonnen
werden, bei denen ausgewählte Kompositionen populär erklärt
und anschließend in voller Länge abgespielt werden.
Journalisten, denen das alles ein wenig zu sehr nach „Klassikradio“,
Vanessa Mae oder Nigel Kennedy klang, versicherte Seeger, dass das
„Klassikradio“ kein Vorbild für Bayern 4 Klassik
darstelle: Es werde keine „Häppchenkultur“ geben.
Im Gegensatz zu Bayern 4 Klassik entwickle sich „Klassikradio“
zu einem Vollprogramm mit einem klassisch ummantelten Musikteppich,
das Bundesliga- und Börsenberichterstattung biete. Bayern 4
Klassik werde diesen Weg nicht gehen und auch weiterhin seine Stammhörer
bedienen.
Dem Jazz, der mittlerweile bis auf Sendungen wie „Jazzpresso“
(Bayern 2, Samstag, 13.05 bis 13.30 Uhr) und die „radioJazznacht“
(Bayern 2, Samstag, 0.05 bis 2.00 Uhr) fast vollständig bei
Bayern 4 Klassik zu Hause ist, werden ab 1. Juli zwei neue Sendeplätze
eingeräumt: Neben der althergebrachten „Jazztime“
(Werktags, 23.05 Uhr) ist das „Pour le Piano“ (15.05
Uhr) jeden Freitag dem Jazz gewidmet. Eine weitere halbe Stunde
Jazz gibt es außerdem jeden Samstag ab 21.30 Uhr.
Bayern 2
Während es bei Bayern 4 Klassik mehr Moderationsanteile als
bislang geben wird, setzt Bayern 2-Wellenchef Klaus Kastan auf mehr
Musik. Die drei tagesaktuellen Magazine „radioWelt“
sollen mit bis zu 20 Prozent Musik aufgelockert werden – Musik,
die nichts mit den Formaten Bayern 3 oder Bayern 1 zu tun haben
werde, wie Kastan versicherte. Mit der Ausweitung des „Heimatspiegels“
(6.06 – 7.00 Uhr) auch auf das Wochenende erhöht sich
jedoch der Anteil von „Volks- und heimatnaher Musik“
auf Bayern 2. Das Abendprogramm auf Bayern 2 soll weiterhin der
Kultur vorbehalten bleiben. Das populäre Szenemagazin „Zündfunk“
wechselt vom Nachmittag auf den frühen Abend (19.00 bis 20.30
Uhr). Und wer sich für Weltmusik interessiert kann auf Bayern
2 den „Weltempfänger“ (Montag bis Freitag, 14.30
bis 14.45 Uhr) einschalten.
Nach den Zielen der Reform gefragt, wollte sich Grotzky nur auf
ein Minimalziel festlegen: Ziel sei es, die Hörerzahlen zu
halten. Für den nicht erwarteten Fall sinkender Quoten für
Bayern 4 Klassik gab Grotzky so etwas wie eine Bestandsgarantie
für die Klassik im Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks
ab: Der BR werde als Sitz von Deutschlands erster Klassikwelle nicht
auf klassische Musik verzichten. Solange das UKW noch nicht voll
durch das digitale Radio ersetzt sei, werde der BR die klassiche
Musik auch nicht auf das digitale Radio abschieben, sondern ein
Klassik-Programm sowohl für UKW- wie DAB-Hörer anbieten.