[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2003/7-8 | Seite 10
52. Jahrgang | Jul./Aug.
Medien
Den Hörern mehr Heimat bieten
Das Radio, Kulturprogramme und ihre Hörerclubs – eine
Erfolgsgeschichte
Kulturprogramme im Rundfunk sind Minderheitenprogramme. Und Minderheiten
brauchen eine Lobby. Die Zeichen stehen – auch in der ARD
– auf Sturm. Kulturprogramme kämpfen um Marktanteile,
um Hörerquoten, und sie kämpfen gegen eine zunehmende
Verflachung der Inhalte auf das Niveau von Begleitprogrammen. Die
Sorge um die Existenz eines Kultursenders stand auch am Anfang des
ersten Radio-Kulturclubs im deutschsprachigen Raum: 1991 schon wurde
der Kulturclub von Schweizer Radio DRS2 gegründet, eine Interessengemeinschaft,
die heute rund eine Million Schweizer Franken im Jahr erwirtschaftet.
Was bei Pop-Sendern schon seit Jahrzehnten Erfolg hat, hält
Einzug in die Kulturprogramme: Der Hörerclub wird zum zentralen
Marketinginstrument. Und mit jedem Clubmitglied wird auch die Lobby
für das Programm größer. Eine Erfolgsgeschichte:
Der DRS2-Kulturclub hat heute 13.500, der Ö1-Club des Österreichischen
Rundfunks 38.000 und der NDR Kultur KlassikClub knapp 11.000 Mitglieder.
Und im Oktober dieses Jahres startet der SWR mit dem SWR2 Radio-Club.
Das Clubmagazin Scala von
Schweizer Radio DRS2.
Als Baustein eines exzellenten Unternehmens wird sie auch im Kulturbereich
immer wichtiger: die Kundenorientierung, die Kundenbindung, die
so genannte Verbundenheitsstrategie im betriebswirtschaftlichen
Jargon, das Loyalitätsmarketing. Dazu zählen Abonnementsysteme,
Besucherorganisationen, Kundenkarten, Clubs, Memberships (wie im
angelsächsischen Raum üblich) oder der klassische Förderverein.
Der Club ist dabei das Marketinginstrument, das sämtliche Aspekte
integriert. Marketingfachmann Manfred Bruhn bringt es auf den Punkt:
„Durch die Mitgliedschaft in einem Kundenclub werden die Bedürfnisse
nach sozialem Kontakt, Akzeptanz, Status, Prestige und Selbstverwirklichung
des Kunden angesprochen. Diese Erlebnisvermittlung und das Angebot
individueller Serviceleistungen tragen zum Aufbau eines psychologischen
Mehrwertes für den Kunden und somit zur Verstärkung der
emotionalen Kundenbindung bei.“ Auch Rundfunkanstalten und
ihre Kultursender entdecken die Chancen des Clubs. Die Kommunikation
dieser Radio-Clubs mit ihren Mitgliedern funktioniert in der Regel
über Clubzeitschriften mit Hintergrundinformationen. Die Angebote
reichen vom Clubradio über Internetplattform, Hörertelefon,
Vergünstigungen bei Eigen- und Partnerveranstaltungen bis hin
zu exklusiven Reisen und Veranstaltungen mit redaktioneller Betreuung.
Hörerclubs bündeln die Marketingmaßnahmen und integrieren
sie in ein umfassendes Gesamtkonzept. Sie sind vom Programm beziehungsweise
Sender initiiert und organisiert, sprechen verschiedene Zielgruppen
individuell mit unterschiedlichen Methoden an und bauen durch die
Erlebnisvermittlung und individuelle Serviceleistung eine starke
Hörerbindung auf. Und schließlich erhebt der Hörerclub
Mitgliederdaten, mit denen er arbeiten kann.
Hörerbindung, Hörerservice, Stärkung des öffentlichen
Bewusstseins, Imagepflege und Synergie-Nutzung sind die Motive,
die für die Gründung eines Hörerclubs von Rundfunk-Kulturprogrammen
genannt werden. So unterschiedlich das Selbstverständnis der
Programme verschiedener Sender ist, so unterschiedlich sind Aufmachung
und organisatorische Strukturen der bestehenden Hörerclubs.
Das Schweizer Radio DRS2 ist „ein Kultursender, aber auch
ein Informationssender. Wir haben das volle Informationsangebot.
Das ist uns sehr wichtig, und es ist in letzter Zeit wichtiger geworden.
Das Interesse an politischer Information ist sehr groß. Kultur
findet in der jetzigen Situation statt und das soll man immer spüren“,
so Rolf Grolimund, dem als Bereichsleiter Musikprogramm und Musikproduktion
von DRS2 auch der DRS2-Kulturclub zugeordnet ist. Von 4,3 Millionen
Deutschschweizern hören knapp 430.000 Personen DRS2. Der Kulturclub
ist kontinuierlich gewachsen und zählt heute 13.500 Mitglieder.
Seine Angebote reichen von Gratiskarten und Workshops bis zu Kulturreisen
und einer eigenen Kulturzeitschrift. Die Clubbeiträge variieren
zwischen SFR 98,- mit und SFR 38,- ohne wöchtliches Radiomagazin.
Als selbsttragender Teil von DRS2 ist der Club bei der Programmleitung
angesiedelt. Mit einer extrem schmalen Stellenbesetzung von insgesamt
110 Prozent Umfang erwirtschaftet er rund eine Million Schweizer
Franken im Jahr. Davon werden sämtliche Kosten des Clubs und
darüber hinaus besondere nicht budgetierte Programmprojekte
finanziert.
Kräftiger Marketingwind
Ganz anders der NDR-Kultur KlassikClub, hier weht ein kräftiger
Marketing-Wind. Wie der Name sagt, ist NDR Kultur die Kulturwelle
des NDR, seit diesem Jahr „gründlich renoviert und modernisiert.
Und fit gemacht für die Kulturinteressierten von heute“,
so die Imagebroschüre. Der NDR-Kultur KlassikClub existiert
seit 1995 und ist – ausgegliedert aus der Welle – bei
der Tochter NDR Media GmbH im Geschäftsbereich Marketing angesiedelt.
Das Durchschnittsalter der knapp 11.000 Mitglieder liegt bei rund
60 Jahren. „Eine Sättigung der Mitgliederzahlen ist noch
nicht erreicht. Das Programm wurde stark umstrukturiert mit dem
Ziel, neue Hörerschichten anzusprechen: auch die so genannten
neuen Kulturorientierten, die etwas jünger sind“, so
Svenja Holst, die Leiterin des Clubs.
Der NDR Kultur KlassikClub war der erste Programmclub eines Klassik-
und Kulturprogramms der ARD. Partner des Clubs sind alle großen
und wichtigen Kulturpartner in Norddeutschland. Durch die Kooperation
in Berlin und Brandenburg gewähren bespielsweise auch die Berliner
Philharmoniker Ermäßigung. Und das alles für 30
Euro Mitgliedsbeitrag. Der NDR Kultur KlassikClub arbeitet mit insgesamt
vier vollen Stellen und einem freien Redakteur. „Es besteht
ein Zuschussbedarf vom NDR, auch wenn der Club sich mittlerweile
zu einem großen Teil selbst trägt“, so Holst.
Wenn Programmacher vom Schlag Ö1 einen Club betreiben, dann
wird Marketing zur Kulturarbeit. Und das mit enormem Erfolg. Ö1,
das Kulturprogramm des Österreichischen Rundfunks, ist ein
Kultur-, Bildungs- und Informationsprogramm. Bei den über 35-Jährigen
hat Ö1 eine tägliche Reichweite von 10,5 Prozent, in Wien
sogar über 14 Prozent das sind rund 600.000 Hörer. Wie
der Sender, so der Club: 38.000 Mitglieder zählt der vor sieben
Jahren gegründeten Ö1 Club. Auslöser für die
Gründung des Clubs war eine Ö1-Werbekampagne des Krimiautors
Wolf Haas „gehört, gehört“. „Um diese
Energie nicht völlig verpuffen zu lassen, ist dann diese Programmzeitschrift
in Verbindung mit dem Club entstanden“, so Kurt Reissnegger,
Leiter des Ö1 Clubs. „Die Motivation für die Gründung
war ein besserer Service für die Hörer, ohne extra Programmgeld
ausgeben zu müssen. Wir haben einen Club gegründet, ohne
wirklich einen Club zu gründen. Das Abonnement unserer Zeitschrift
(zum Preis von 21,80 Euro) ist identisch mit der Clubmitgliedschaft.“
Und doch: Der Club ruht auf zwei Säulen: der Zeitung in klassischer
Strenge ohne Inserate sowie der Club-Karte, die bei rund 500 Partnern
in ganz Österreich Ermäßigungen ermöglicht.
Darüber hinaus wurde das Funkhaus in ein Radio-Kulturhaus umgewandelt
mit täglichen Veranstaltungen, Klangtheater, Soundshowroom
und einem Radio-Café. Personell ist der Club ähnlich
schlank wie beim DRS2-Kulturclub besetzt und als Stabstelle des
Programmchefs geführt. „Wir versuchen langsam zu wachsen.
Würden wir beispielsweise mit dem Konzerthaus eine Marketing-Mitglied-Kopplungsaktion
machen, brächen wir organisatorisch zusammen.“ Die Mitglieder
gliedern sich in drei Segmente: das sogenannte Aktivsegement von
Jüngeren und Gebildeteren, die eine selektive Auswahl treffen;
die Kernhörer, die als Zeichen der Solidarität eine gute
Sache unterstützen; und die Gruppe, für die sich der Beitrag
über die Ermäßigungen bei Partnerinstitutionen rechnet.
Zu den Kosten: „Die Kostenwahrheit ist eine schwierige Sache
und bei den öffentlich-rechtlichen Häusern schwer zu eruieren.
Seit dem dritten Jahr ungefähr arbeiten wir kostendeckend.
Der Überschuss geht ins Programm“, so Reissnegger von
Ö1. Aber zurück zu den ARD-Anstalten und zu SWR2, das
am 1. Oktober 2003 seinen Club, den SWR2-RadioClub startet. „Vom
Programmverständnis ist SWR2 konservativ im guten Sinn. Wir
pflegen Radiotradition sehr bewusst. Wir verstehen uns als ein Vollprogramm,
das unseren Hörern von der politischen Hintergrundinformation
bis zur internationalen Kultur und der Musik alles bietet“,
so Hildegard Bußmann, Programmchefin SWR2. Bundesweit 240.000
Hörer hat SWR2 täglich. Wichtiges Motiv bei der Gründung
eines Clubs ist auch bei SWR2 die Pflege der bestehenden sowie der
Aufbau neuer Hörerbindungen. „Wir wissen, dass es eine
sehr enge Bindung an das Programm gibt und wir wollen den Hörern
ein Stückchen mehr Heimat bieten und Angebote bündeln,
die wir ohnehin schon haben.“ Im Gegensatz zum NDR wird der
SWR2 Radio-Club Teil des Programms sein. Auch die Marketingabteilung
ist in die Hauptabteilung integriert. Und der Club wird das dominierende
Marketinginstrument. Aufgrund von Hörerbefragungen rechnet
SWR2 bis 2005 – bei vorsichtiger Planung – mit bis zu
5.000 Mitgliedern. „Ein Kulturprogramm, das Ansprüche
stellt an die Hörer und auch Anwort bekommt, dass die Hörer
mit diesen Ansprüchen ganz zufrieden sind, ist auf eine Lobby
angewiesen.“ Das Konzept für den SWR2-Radio-Club ist
überzeugend, die Leistungen attraktiv. Der Erfolg wird kommen.
Kundenclubs sind eine Wachstumsbranche und der Erfolg ist bestechend,
ob im profit- oder non-profit-Bereich. Der SWR3 Club ist mit 85.000
zahlenden Mitgliedern legendär, IKEA-Family hat allein in Deutschland
mehr als 200.000 Mitglieder, die Porsche Clubs zählen rund
um den Globus 120.000 Mitglieder. Aber auch die wissenschaftliche
Buchgesellschaft, einer der ältesten Kundenclubs im Kulturbereich,
hat weltweit rund 140.000 Mitglieder. Die Kulturprogramme der Rundfunkanstalten
müssen sich beeilen mit ihren Clubgründungen, damit ihre
Clubkarten einen Platz in den Brieftaschen der potentiellen Mitglieder
ergattern. Wer weiß, wie viele Club- und Kundenkarten der
Mensch bereit ist, bei sich zu tragen.