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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 3-4
53. Jahrgang | November
Magazin
Liebschaften über Generationen hinweg
Ensemble Akademie ensemble recherche und Freiburger Barockorchester
· Von Elisabeth Schwind
Es ist ein merkwürdiges Ding mit der Liebe zwischen der Neuen
Musik und der Alten Musik. Zu beobachten ist sie allerorten. Da
greifen Komponisten die isorhythmischen Prinzipien eines Machaut
auf, Purcell- oder Gesualdo-Bearbeitungen werden angefertigt, man
bezieht sich auf barocke Formmodelle oder schreibt für Cembalo
oder Countertenor. Auch die Konzertveranstalter greifen die Gegenüberstellung
von Alt und Neu immer häufiger auf. Dabei muss das innige Nebeneinander
doch eher verwundern. Schließlich sind die Musiker der Historischen
Aufführungspraxis wie der zeitgenössischen Musik ausgesprochene
Spezialisten ihres Fachs. Überschneidungen des Repertoires
gibt es da praktisch keine.
„Spielraum 2”:
Mitglieder des Freiburger Barockorchesters, des ensemble
recherche und Publikum im Gespräch im Rahmen des „Spielraum”
über das Thema Struktur (Moderation: Isabel Mundry).
Im Bild: Gottfried von der Goltz (FBO), Christian Dierstein
(e.r.); erste Sitzreihe von rechts: Katharina Schreiber
(FBO), Melise Mellinger (e.r.), ein Akademieteilnehmer.
Foto: Klaus Fröhlich
Und jetzt ist sogar eine Sommerakademie für Alt und Neu ins
Leben gerufen worden, von zwei in Freiburg ansässigen Formationen,
dem ensemble recherche und dem Freiburger Barockorchester. Anfang
September fand die Akademie in Freiburg erstmals statt. Freilich
ist es nicht allein die Liebe, die beide Ensembles zusammentreibt.
Der Schulterschluss in einer Ensemble-Akademie ist durchaus auch
als Zweckehe zu verstehen: die beiden Ensembles kämpfen in
Freiburg und inmitten der üblichen Sparrunden für die
Einrichtung eines gemeinsamen „Ensemblehauses“, das
das Problem der mangelhaften Behausung und der unzulänglichen
Proberäume beheben soll. Darüber hinaus sind einige Punkte
zu verzeichnen, die beide Ensembles beziehungsweise die Szenen der
Neuen und der Alten Musik ganz allgemein miteinander verbinden.
Wie beispielsweise das Spezialistentum – noch immer spielt
sich die Ausbildung der Musiker an den Rändern des klassischen
Musikstudiums ab. Auch sind beide Szenen in einem geistigen Klima
des Aufbruchs und im Bewusstsein entstanden, Pionierarbeit zu leisten.
Und sie waren von dem Impuls getragen, sich von der am klassisch-romantischen
Repertoire geschulten Ästhetik abzugrenzen. Insofern sind das
Freiburger Barockorchester und das ensemble recherche ähnlich
sozialisiert.
Zielgruppe der Akademie waren nicht nur Studenten, sondern, wie
es Rüdiger Nolte (Dramaturg des Freiburger Barockorchesters)
umriss, „auch im Beruf stehende Musiker, die immer mehr in
Oper- und Sinfonieorchestern mit unseren Spezialbereichen konfrontiert
werden“.
Denn, so formulierte es der Flötist Martin Fahlenbock vom
ensemble recherche aus der Warte der Neuen Musik, „wir machen
immer wieder die Erfahrung, selbst bei Kollegen aus Rundfunkorchestern,
dass es da wirkliche Defizite gibt, nicht nur, was rein technische
Dinge angeht, sondern auch im Hinblick darauf, wie man sich eine
zeitgenössische Partitur erschliesst“. Zusammen gekommen
ist schließlich eine recht bunte Truppe, der Anteil der Orchestermusiker
bleibt zwar ausbaufähig, aber insbesondere den Schulmusiklehrern
konnten die Dozenten schließlich große Offenheit bescheinigen.
Eine Besonderheit der Akademie war die Einrichtung eines nachmittäglichen
„Spielraums“, in dem sich die „Alten“ und
„Neuen“ zum gemeinsamen Gespräch trafen. Hier ging
es um die Ausleuchtung ästhetischer und technischer Begriffe
wie Klang, Struktur, Affekt und damit um ein Aufspüren von
Parallelen und Unterschieden zwischen Alter und Neuer Musik.
Und auch um die beidseitigen Vorurteile sollte es gehen, die während
der fünftägigen Akademie unterschwellig stets Thema waren
– also zum einen um die gefühllosen Technokraten mit
intellektuellem Gehabe (Neue Musik) und zum anderen um die Wohlfühlmusiker
in intonatorischer Schieflage (Alte Musik), wie es NDR-Redakteurin
Margarete Zander in einem von ihr moderierten Nachmittag zur Erheiterung
aller auf den Punkt brachte.
Die offene Konfrontation der beiden „Lager“ war durchaus
erwünscht, zur Prügelei kam es dann aber doch nicht –
obwohl am Rande der abendlichen gemeinsam gestalteten Konzerte Unmutsäußerungen
durchaus in großer Deutlichkeit zu vernehmen gewesen waren.
Und es waren keineswegs nur die Barockfans, die der Neutönerei
fassungslos gegenüber standen, sondern umgekehrt Anhänger
der Avantgarde, die sich über die Hohlheit der Barockmusik
aufregten. Offenbar, so die Musiker der Diskussionsrunde im „Spielraum“,
ist die Lagerbildung im Publikum noch viel ausgeprägter als
unter den Musikern selbst. Dass solche Vorbehalte nur in Auseinandersetzung
miteinander überwunden werden können, liegt auf der Hand.
Einen ersten Schritt in diese Richtung getan zu haben, darf sich
die Freiburger Ensemble-Akademie nun auf ihre Fahnen schreiben.
Und auch wenn man sich über den ästhetischen Sinn des
Schulterschlusses zwischen Alt und Neu weiterhin seine Gedanken
machen kann, so bleibt doch der pädagogische Mehrwert eines
solchen Versuchs unbestritten. Er lässt sich auch ganz handfest
daran ablesen, dass etliche der insgesamt siebzig Akademieteilnehmer
– von der überwältigenden Nachfrage waren übrigens
beide Seiten gleichermaßen überrascht – die Möglichkeit
nutzten, Unterricht sowohl bei den Dozenten der Alten als auch der
Neuen Musik zu nehmen. Oder bei den Proben der „anderen Seite“
zuzuhören.
Insgesamt zeigen sich die Verantwortlichen mit dem Verlauf der
Akademie zufrieden. Auch die positive Rückmeldung der Teilnehmer
lädt zur Fortsetzung ein. Der finanzielle Rahmen dafür
sei jedoch noch keineswegs gesichert. „Unter diesen Bedingungen
kann man das ein Mal, aber nicht jedes Jahr machen“, betont
Lucas Fels vom ensemble recherche. So mussten beispielsweise die
Räume der Freiburger Musikhochschule für fünf Tage
angemietet werden.
Und dass man ausgerechnet dort dem Akademie-Projekt nicht mit
einem günstigen Angebot entgegen gekommen ist, hat die Veranstalter
spürbar verbittert.
Davon, dass an der Musikhochschule weder an der Alten noch an der
Neuen Musik ein ausgeprägtes Interesse besteht, ist man überzeugt.
Plötzlich tut sich ein weiterer Graben auf: der zwischen der
traditionellen klassischen Musik und dem Spezialistentum am Rande.
Auch da gibt es also noch einiges zu tun.