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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 4
53. Jahrgang | November
Magazin
Ein Gedächtnis der modernen Musik-Welten
Zweiter Jahrgang der Ensemble Modern Akademie Frankfurt
Der kleine Asia-Imbiss „Grüner Bambus“ im Osten
der Bankenmetropole am Main floriert. Nur knappe fünf Minuten
sind es von der ehemaligen Schuhmaschinenfabrik in der Schwedlerstraße
zu Pekingente süß-sauer und Frühlingsrolle. Trotzdem
muss Rumi Ogawa, Schlagzeugerin des Ensemble Modern und eine der
verantwortlichen Tutoren, die sechs Stipendiaten der Internationalen
Ensemble Modern Akademie Frankfurt (IEMA) erst überreden, ihre
konzentrierte Probenarbeit zum bevorstehenden Abschlusskonzert kurz
zu unterbrechen.
Stipendiaten des zweiten
Akademie-Jahrgangs suchen nach neuen Klängen. Foto:
Britta Richter
Die Stipendiaten gehören zum zweiten Jahrgang der im Juli
2003 von Musikern des Ensemble Modern gegründeten Akademie.
Sechs Monate erhielten die jungen Nachwuchskünstler aus den
Bereichen Klavier, Schlagzeug, Komposition, Dirigat und Klangregie
Einblick in die künstlerische Arbeit eines der international
renommiertesten Ensemble für Neue Musik.
2005 feiert das Ensemble Modern sein 25jähriges Bestehen.
Fast genauso lang träumten seine Musiker den Traum einer Akademie
als Ort der Begegnung, wo das gesammelte Wissen um Traditionen,
Interpretationen und Spielerfahrung von Musik des 20. und 21. Jahrhunderts
weitergegeben und dokumentiert wird. Ein Gedächtnis der modernen
Musik-Welten zu sein beansprucht die Akademie nicht zuletzt aus
ihrer interpretatorischen Verantwortung heraus, wie auch Rumi Ogawa
beschreibt: „wir haben direkt mit Komponisten zusammen gearbeitet,
die jetzt zum Teil schon tot sind, und sie haben uns natürlich
mitgeteilt, wie sie es haben wollen und wie sie es gemeint haben
mit dem Notenbild. Das haben wir dann im Gedächtnis gehalten
und geben es weiter.“
Dem Ensemble Modern geht es um die Vermittlung dessen, was Stockhausen
als „orale Tradition“ bezeichnet. Aber auch darum, eine
Fülle von Uraufführungspartituren und Komponistenbeiträgen
zu archivieren und für nächste Generationen zu erhalten.
Für den jungen Dirigenten Kevin John Edusei bietet das Stipendium
fast paradiesische Zustände: „Für viele Sachen gibt
es hier schon Traditionen, man guckt einfach im Archiv, wo der Komponist
noch Verbesserungen, kleine Revisionen in seine Partituren gemacht
hat. Daran können wir anknüpfen und dafür sorgen,
dass diese Interpretationskultur auch in Zukunft weitergeht.“
Zukunftsweisende Modelle, die ein Land braucht, das nur allzu
gern über sukzessiv versinkende Kulturlandschaften lamentiert,
hat die IEMA genug. Das Stipendiatenprogramm, eine Komponistenwerkstatt
und das Nachwuchsforum junger deutscher Komponisten gehören
hierher. Durch die finanzstarke Förderung der Kunststiftung
NRW sowie der Bundeskulturstiftung konnten die Stipendien bereits
von anfänglich sechs Halbjahres- auf 13 Ganzjahresstipendien
in diesem Herbst ausgedehnt werden. Für Roland Diry, Geschäftsführer
und Klarinettist des Ensemble Modern, ein erfreuliches Zeichen dafür,
wie sich die Akademie bereits ein Jahr nach ihrer Gründung
sowohl öffentliches wie auch künstlerisches Renommee erarbeitet
hat. Dabei sind es keine Massen von Hochschulabsolventen, die der
IEMA ins Haus stürmen, gibt Roland Diry zu. Und weder das Ensemble
Modern noch seine Akademie eignen sich im eigentlichen Sinn auch
dafür, breiten Mainstream zu befriedigen. Denn das Ensemble
zeichnet sich gerade durch seine kompromisslose Suche nach dem perfekten
Klang, einer unbedingten Werk- und Interpretationstreue und einem
stets gemeinschaftlich erarbeiteten Klangprodukt aus. Auf diesen
Anspruch lässt sich nicht jedermann ein, fordert er doch nicht
weniger als das Möglichste von jedem, auch bis an Belastungsgrenzen
heran. Aber letztlich werden es diese Aspekte sein, die bei den
jungen Musikern neue Impulse und Maßstäbe für das
eigene Arbeiten hinterlassen, denn Erfolgsrezept für Ensemble
und Akademie ist Teamarbeit, in der gefordert, gelehrt, motiviert
und geholfen wird unterstreicht auch Rumi Ogawa: „Keiner hat
Schiss, Fehler zu machen, also falsch zu spielen. Man kann einfach
bei unserer Probe ausprobieren, keiner lacht einen aus, was bei
einem Berufsorchester kaum möglich wäre. Bei uns kann
man auf jeden Fall ausprobieren bis man eine geeignete Form gefunden
hat.“