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nmz-archiv
nmz 2005/06 | Seite 1
54. Jahrgang | Juni
Leitartikel
Jugend friert
Den ersten „Dritten Preis“ des diesjährigen Bundeswettbewerbes
”Jugend musiziert“ errang direkt beim Eröffnungskonzert
ein Percussion-Ensemble, das gar nicht angemeldet war: Mit einem
Paukenwirbel trommelte sich Musikrats-Präsident Martin Maria
Krüger nach einer Partitur des Verbandes deutscher Musikschulen
und bestens begleitet von Familien-Ministerin Renate Schmidt an
der Finanz-Harfe in die Herzen der Zuhörer. Die Jury war sich
einig: Endlich hatte Deutschlands Musik-Cheflobbyist Krüger
mal Klartext dargeboten und zwei kulturfeindlich agierenden deutschen
Gemeinden die Freundschaft und die gemeinsame Zukunft gekündigt.
Ausgerechnet die Veranstalter-Städte des vorjährigen Bundeswettbewerbes
Trossingen und Villingen, die sich selbst gern und laut mit dem
Prädikat „musikanten-freundlich“ oder gar „Musikstadt“
schmücken, gehen mit ihren Musikschulen um, wie die Abrissbirne
mit dem Altbau. Der Grund: natürlich die Finanzen. Villingen-Schwenningen
will seinen Musikschul-Etat ohne Rücksicht auf Verluste, Personal
oder Qualität in ein fixes, viel zu schmales Etatbett pressen.
Bei einem Gesamtetat von knapp 180 Millionen Euro ist der „Wohlfühlstadt“
die Musikschule mit ihren fast 1.500 Schülern grade noch 340.000
Euro wert. Zur Rentabilisierung, zur Profit-Optimierung sind alle
Mittel recht – bis hin zur möglichen Umwidmung des Institutes
in ein Wellnesszentrum oder Tourismusbüro.
Titelbild
1. Preis bei “Jugend musiziert“ 2005: Leonie
Lubczyk, Eva Leonie Fegers und Silvia Backhaus spielen „Articulator“
von Agnes Dorwarth.
Foto: Erich Malter
Assistenz erhält diese Barbarei jetzt ausgerechnet von der
Trossinger Musikhochschule. Die will den Nachbarn ihre Studenten
als Billigst-Lehrkräfte zur Betreuung eines potenziellen musikpädagogischen
Sparschweine-Stalles andienen. Ob sich der Rektor Jürgen Weimer
Gedanken darüber gemacht hat, dass er mit solcher Lohndumping-Politik
künftige Berufsfelder der ihm anvertrauten Studierenden-Klientel
gründlich verwüstet? Welches Bildungs-Verständnis
herrscht in einem Haus, das Eltern zumuten will, ihre Kinder als
Crashtest-Dummies für unfertige Musiklehreraspiranten bereitzuhalten?
Wenn ein Musik-Ausbildungsinstitut hierzulande überflüssig
ist, dann eines mit solchem Geist.
Auch mit ihrer eigenen Musikschule springt die „Musikstadt“
Trossingen nicht gerade zimperlich um. Der Vorsitzende des Träger-Verbandes,
Trossingens Bürgermeister Lothar Wölfle, zieht alle fiesen
Register oberschwäbischer Knickerigkeit, um möglichst
viele Lehrkräfte aus der Festanstellung ins freie Kräftespiel
der demnächst christsozialen Marktwirtschaft zu treiben. Billigheimer
bekommen faire Honorarkraft-Chancen. Damit reiht sich Wölfle
windschnittig ein in die Riege zeitgeistiger Möchtegern-Kulturökonomen,
die ebenso vorlaut wie inkompetent dafür Sorge trägt,
auch unsere Bildungseinrichtungen der binären Ästhetik
von Vierteljahres-Bilanzen und aktueller Geiz-ist-geil-Philosophie
zu unterstellen.
Früchte tragen solche Manipulationen schon reichlich. Zur Nachmittagsbetreuung
unserer Kinder an Ganztagsschulen ist geeignet, wer noch laufen
kann und wenig kostet. Der Prokurist aus dem Einkaufszentrum nebenan
gibt den deutlich besseren weil praxisorientierten Gymnasiallehrer
ab. Bachelor- und Master-Studiengänge sollen die flotte Industrie-Kompatibilität
der Uni-Absolventen befördern. Man fühlt sich mit Blick
auf unsere Bildungsplanung an Michael Endes „Momo“ erinnert:
Überall graue Männer auf dem Vormarsch. Wie lange lassen
wir uns die wohlberechnete Dis-Qualifizierung unserer Kinder noch
gefallen?
Es waren erste richtige Signale, als Martin Maria Krüger
den „Sonderpreis“ der Stadt Villingen-Schwenningen im
Namen von “Jugend musiziert“ zurückwies, als Renate
Schmidt samt Ministerium spontan einsprang. Einen „Ersten
Preis“ in der Sonderwertung „Zeitgenössische Musik“
für das Ensemble „Krüger haut auf die Pauke“
gibt’s aber frühestens, wenn sich die politische Effizienz
des Deutschen Musikrates auf so hohem Niveau stabilisiert hat, wie
es die Teilnehmer am diesjährigen Bundeswettbewerb “Jugend
musiziert“ – sicherlich auch dank eines noch fast flächendeckend
funktionierenden Musikschulwesens – auf allen Bühnen
bewiesen. Das kann noch ein wenig dauern.