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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 7
53. Jahrgang | November
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Kampf um die Orchester
Dass sich die Sinfonieorchester, wie es so schön heißt,
heute am Markt positionieren müssen, um ihre Daseinsberechtigung
nachzuweisen, ist nicht mehr neu. Neu und beunruhigend ist aber,
dass dieser Wettlauf um die öffentliche Aufmerksamkeit sich
inzwischen verschärft hat zu einem Kampf um die bessere Position
bei einer drohenden Abwicklung. Nur so lassen sich die jüngsten
Initiativen aus dem Umfeld des SWR Sinfonieorchesters deuten, mit
denen nun bei den Donaueschinger Musiktagen die Öffentlichkeit
aufgerüttelt wurde.
Am Horizont braut sich etwas zusammen. Der kulturell aufgeschlossene
Hörfunkdirektor des SWR, Bernhard Hermann, warnte in seiner
Rede zur Verleihung des Karl Szuka Hörspielpreises in Donaueschingen,
dass wegen der viel zu gering ausfallenden Gebührenerhöhung
die Substanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nun in Gefahr
sei. Mit den Reformen der vergangenen Jahre sei das Sparpotenzial
bei Strukturen und Personalkosten weitgehend ausgeschöpft worden,
und mit den jetzt erforderlichen, weiteren Einsparungen gehe es
ans Eingemachte: „Alles kommt auf den Prüfstand.“
Und dazu gehört laut Hermann nicht nur der international renommierte
Szuka-Preis, der im nächsten Jahr sein 50-jähriges Jubiläum
feiert. Auch die Klangkörper des SWR gehören dazu.
Das SWR Vokalensemble Stuttgart, einer der führenden Profi-Chöre
der Bundesrepublik, soll dem Vernehmen nach intern schon abgeschrieben
sein. Und es scheint Überlegungen zu geben, über kurz
oder lang auch eines der beiden rundfunkeigenen Sinfonieorchester
in Stuttgart und Baden-Baden/Freiburg aufzulösen. Der in Donaueschingen
erfolgte vielstimmige Appell an die Öffentlichkeit –
mit Unterschriftensammlungen und Presseinfos, verstärkt durch
engagierte Reden von Wolfgang Rihm und Gerhard Baum vor versammeltem
Konzertpublikum, eine in dieser Form einmalige Aktion – macht
den Ernst der Situation deutlich.
Zum Glück wurde diesmal nicht gewartet, bis man vor vollendeten
Tatsachen steht, sondern der Protest wurde schon im Vorfeld formuliert.
Schade nur, dass das Stuttgarter Orchester nicht schon jetzt in
die Aktion eingebunden war. Das ist zwar verständlich, gehört
Donaueschingen doch zur Domäne von Baden-Baden. Aber allen
dürfte klar sein: Es kann nicht darum gehen, dass sich der
eine Klangkörper auf Kosten des anderen rettet. Beide Orchester
müssen bleiben.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte und dieser Kulturabbau
von den politisch Verantwortlichen und ihren Verwaltungsbeamten
ernsthaft in Betracht gezogen wird, ist beschämend. Nicht nur
für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland,
der dem kulturellen Auftrag, zu dem ihn die Rundfunkgesetze verpflichtet
haben, jahrzehntelang bereitwillig und zum Nutzen der ganzen Gesellschaft
nachgekommen ist. Es ist auch beschämend für die ganze
Schicht von Entscheidungsträgern und Meinungsführern,
die heute in der Öffentlichkeit den Ton angeben und offenbar
nicht mehr wissen, wozu Kultur taugt und welche grundlegende Bedeutung
sie für den Einzelnen und für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft
hat. Unter dem Druck zum Sparen lassen sie am schnellsten jene Einrichtungen
fallen, denen der diskriminierende Stempel der Minderheitenkultur
aufgedrückt wird. Und dazu gehört nun einmal die E-Musik.
Zu den altgedienten Zynikern der Macht stoßen nun auch langsam
die Angehörigen der mit Fernseher und Computer aufgewachsenen,
von den achtundsechziger Pädagogen grausam verschaukelten Generation.
Für sie beginnt Musikgeschichte mit den Beatles. Kein Wunder,
dass sie sich nicht aufregen, wenn ein Sinfonieorchester dicht gemacht
wird. Es ist ja nur Kultur, Fun für eine spinnerte Minderheit,
und kostet sowieso zu viel. Also weg damit.
Doch bevor es dieser neuen Koalition der Kulturfeinde gelingt,
die Bevölkerung zu reinen Bildschirmdeppen herunterzumendeln,
wird sich garantiert noch heftiger Widerstand regen. Was sozialpolitisch
bei Karstadt und Opel geschieht, kann sich auch kulturpolitisch
ereignen. Nicht mit Streiks und Straßenaktionen, aber mit
Protesten vieler Einzelner, die sich letztlich zur äußerst
unbequemen Masse addieren. Es geht darum, die Verantwortlichen in
diesem Spiel, die sich so gerne hinter ihrer Anonymität verschanzen,
öffentlich und privat zur Rede zu stellen und Netzwerke der
Solidarität zu bilden. Diese Lobbyarbeit ist zu leisten, und
Ansätze dazu sind gemacht.
Die Chancen für die Rundfunkorchester stehen nicht schlecht,
stellen sie doch ihre Notwendigkeit täglich unter Beweis. Veränderungen
sind aber unumgänglich. So sind etwa neue Organisationsformen
zu überlegen. Und in einer Zeit, da alle außer den einschlägigen
Wirtschaftsgaunern Federn lassen müssen, darf man auch von
den Orchestermusikern verlangen, dass sie von ihren in den satten
Jahren errungenen Privilegien etwas heruntersteigen. Nun können
sie zeigen, dass es ihnen bei ihren anspruchsvollen Aufgaben auch
um die Musik geht und nicht nur um außertarifliche Zulagen.
Nicht nur bei Opel, auch in den Konzertsälen wird sich noch
einiges bewegen müssen.