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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 7
53. Jahrgang | November
Medien
Die fatale Wucht kruden Effizienzdenkens
Die SWR-Orchester Stuttgart sowie Baden-Baden und Freiburg vor
der Zusammenlegung
Das Strickmuster der Orchesterauflösungen ist stets dasselbe:
Man denkt laut nach über angeblich nicht länger tragbare
Kosten, welche die Orchester verursachen. Der Stein wird ins Wasser
geworfen, und je nach dem, mit welcher Stärke es fortan im
Blätterwald rauscht, werden schließlich die finalen Konsequenzen
angegangen.
Nicht
anders in Stuttgart, wo Intendant Peter Voß die mögliche
Zusammenlegung der SWR-Orchester von Stuttgart sowie Baden-Baden/Freiburg
in den Raum stellte. Anlässlich der Senderfusion vor einigen
Jahren war dergleichen schon einmal angedacht worden, jedoch noch
nicht durchsetzbar gewesen. Möglicherweise können jetzt
die Karten noch einmal neu gemischt werden, denn das Senderdefizit
ist beachtlich.Und überdies gibt es, vor dem Hintergrund sich
noch verschärfender ökonomischer Zwänge, ganz offenbar
einen stetig wachsenden Anteil von Entscheidungsträgern, denen
ein Leben mit klassischer Musik kaum noch etwas bedeutet.
Gerade in Baden-Württemberg war das bisher immer anders.
Es sind, im Grunde seit Ende des 19. Jahrhunderts, gerade die konservativen
Eliten in Politik und Ökonomie gewesen, denen die Förderung
der Musik am Herzen lag. Das gilt bis heute. Viele Funktionsträger
der Ministerien sind in der Stuttgarter Liederhalle oder in der
Oper anzutreffen, oft engagieren sie sich in der Laienmusik. Von
der gehobenen Altersstruktur entsprechen die genannten Persönlichkeiten
exakt dem, was in Konzerten nachgerade üblich geworden ist.
Für viele Vertreter der nachfolgenden Generation indes ist
Kulturfähigkeit keinesfalls mehr eine unverzichtbare Größe.
Sie haben Schulen durchlaufen, in dem Musikunterricht nicht selten
ausgefallen ist.
Auf der anderen Seite kann es jedoch auch nicht den geringsten
Zweifel darüber geben, dass natürlich auch die Musik,
in diesem Fall die beiden Rundfunkorchester Baden-Württembergs,
ihren Beitrag zur Kostenreduzierung leisten müssen. Es gilt,
bei Orchestermusikern eine ganze Reihe von Privilegien zu beseitigen,
die nicht länger zeitgemäß sind. Zu überprüfen
wären fernerhin Arbeitsverträge oder die Frage von Arbeitszeiten
überhaupt – es kann beispielsweise nicht sein, wenn einzelne
Musiker während der Saison mehr als 10 Tage unbeschäftigt
sind. Ebenso sind Konzerte kaum sinnvoll, wenn – etwa bei
Aufführungen zeitgenössischer Musik – die Zahl der
Ausführenden und der Besucher weitgehend identisch sind.
Schließlich möge man sich eindringlich vor Augen führen,
dass schon jetzt der Etat etwa des Sinfonieorchesters Baden-Baden/Freiburg
(9,3 Mio Euro) weniger als ein Prozent aller Gesamtaufwendungen
des SWR ausmacht! Und dafür soll ein Klangkörper getroffen
werden, der auf Grund seiner reichen Tradition zum Landeskulturerbe
Baden-Württembergs gehört und sich zugleich mit den besten
Ensembles seiner Art auf der Welt messen kann?
Sollten krudes Effizienzdenken und Utiliarismus tatsächlich
eines der genannten Orchester eliminieren, dann wären die wenigen
eingesparten Millionen lediglich eine Maginalie. Unbezahlbar –
weil nicht wieder gutzumachen – wäre vielmehr der Schaden,
der dem kulturellen Vermächtnis und damit zugleich der Identität
des Musiklandes Baden-Württemberg zugefügt würde.