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nmz 2004/11 | Seite 11
53. Jahrgang | November
Forum
Leserbriefe zur Auflösung des Münchner Rundfunkorchesters
Anzeichen eines beginnenden Flächenbrands
Leserbrief zur beabsichtigten Auflösung des Münchner
Rundfunkorchesters
Die Tatsache dass unsere Zeit von einem Werteverfall größten
Ausmaßes bedroht ist kann nicht hinwegdiskutiert werden. Irgendwann
werden sich die Historiker zum Beispiel fragen, wie konnten denn
die Menschen damals akzeptieren, dass anstelle hochwertiger Literatur
immer mehr eitle Selbstbespiegelung, Polit-Schrifttum, Pornos und
linkes Soziologen-Chinesisch überhand nahmen.
Sie
werden ihre Fragen der Verwunderung ausdehnen auf zahlreiche andere
Wertebereiche. So unter anderem auf die Architektur wo längst
lieblose Betonbauten und Massensilos an die Stelle herrlicher Bauten
früherer Zeiten getreten sind. Und vielleicht oder ganz sicher
wird dann auch die Frage aufgeworfen werden wann, warum und wer
hat in einem so kulturträchtigen Land wie unserem Bayern auch
im musischen Bereich begonnen diesen zu beschneiden.
Die jetzt beabsichtigte Auflösung des Münchner Rundfunkorchesters
beantwortet die Frage nach dem wann und dem wer aber gibt keine
Antwort auf das „warum“
Zu oberflächlich erscheint mir hier der vordergründig
ins Gespräch gebrachte Kostendruck insbesondere wenn man die
Kosten dieses Orchesters von neun Millionen im Jahr in die Relation
des BR-Gesamtetats von 900 Millionen im Jahr setzt.
Da gibt es zweifelsohne andere Bereiche in welchen der Intendant
seinen Rotstift wirkungsvoller einsetzen könnte. Beispielhaft
beim Einkauf von Sportübertragungsrechten zu astronomischen
Summen.
Als treue Diener ihres obersten Dienstherrn des Ministerpräsidenten
wissen aber Herr Thomas Gruber ebenso wie der CSU Oberpopulist Markus
Söder, dass dies eine mehr als unpopulistische Maßnahme
wäre.
Der BR muss sich aber ganz schnell daran erinnern, dass er einen
ihm im Rahmen der ARD auferlegten Verfassungsauftrag auch und gerade
im kulturellen Bereich zu erfüllen hat.
Deshalb: Das Münchner Rundfunkorchester darf nicht sterben!
Kein anderes Ensemble bringt sich auch nur vergleichsweise mit
einer solchen Vielfalt von besonderen Konzertreihen in die musische
Bildungsarbeit gerade von Kindern und Jugendlichen ein.
Darum wehret den Anfängen. Die Auflösung des Orchesters
käme einem musikalischen Flächenbrand gleich, ist doch
zu befürchten, dass dann dem Sparzwang als nächstes der
Rundfunkchor der immerhin jährlich 80 gemeinsame Auftritte
mit dem Münchner Rundfunkorchester absolviert geopfert wird.
Auch Bayern 4 Klassik könnte man auf den Prüfstand stellen.
Nicht auszudenken wenn solche Schritte in unserem Land Schule machen
würden.
Horst Spindler, Kaufbeuren
Krasser Widerspruch zum Kulturauftrag
Ein Offener Brief an den Intendanten des Bayerischen Rundfunks
Als öffentlich rechtlicher Sender hat der Bayerische Rundfunk
einen, immer wieder beschworenen, Kulturauftrag. Diesen nicht zu
vernachlässigen, ist, insbesondere zu Zeiten gewachsener privater
Konkurrenz, im Interesse des Landes, und seiner Bürger. Es
geht um die Fortführung unserer Musiktradition, sowie die beispielhafte
Förderung unserer lebendigen Musikkultur.
Ihre Entscheidung, das Münchner Rundfunkorchester aufzulösen,
steht hierzu in krassem Widerspruch! Das äußerst vielseitige
musikalische Angebot dieses Klangkörpers, und sein höchstes
Niveau, stehen außer Frage. Gerade dieses Orchester hat auch
für junge Menschen, und Familien, Angebote offeriert, die kreatives
Denken, und phantasievolles Handeln fördern. Experten von internationalem
Rang bescheinigen, dass dadurch entstehende Qualitäten für
innovatives Handeln im Beruf unerlässlich sind.
Kultur darf in Deutschland nicht elitär werden! Es muss andere
Wege ,als die Schließung des Münchner Rundfunkorchesters
geben, um die unverhofft niedriger ausgefallene Rundfunkgebührenerhöhung
abzufangen! Diese Einsparmöglichkeiten zu finden, und sie im
Sinne des BR-Programms, und im Sinne der Mitarbeiterinnen, und Mitarbeiter,
also auch im Sinne der Musikerinnen, und Musiker des Rundfunkorchesters,
umzusetzen, ist Aufgabe der Intendanz.
Die Professoren der Hochschule für Musik und Theater München
drängen Sie, Ihrer Verantwortung nachzukommen.
Wolfram Arndt, Siegfried Mauser, Alexander Kraue,
Stephan Schmitt, Edgar Krapp, Daphne Evangelatos
Dumpfe Einfalt statt kultureller Vielfalt
Ein weiterer Kommentar zum Thema Rundfunkorchester
Bis zu jenem Tag, da die Abwicklung des Münchner Rundfunkorchester
beschlossen wurde, war ich der Ansicht, in einem Bundesland zu leben,
wo Kultur großgeschrieben wird. Mit Entsetzen musste ich jedoch
zur Kenntnis nehmen, dass dem leider immer weniger so sein wird,
solange Menschen wie die Herren Stoiber und Söder, denen der
essentielle Langzeitwert von Bildung für unsere Gesellschaft
ganz offensichtlich nichts bedeutet, unbehelligt kulturelle Infrastruktur
demontieren dürfen, wenn dies ihrer politischen Karriere förderlich
erscheint.
Dass nun ausgerechnet das Münchner Rundfunkorchester, das
mit seiner programmatischen Vielfalt eine Fülle von Publikumsschichten
– nicht nur im bayerischen Sendegebiet – erreicht und
dem Bildungsauftrag einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt
in vorbildlichster Weise Rechnung trägt, zum Spielball der
Politik werden soll, erfüllt mich mit Fassungslosigkeit und
Trauer. Trauer nicht nur wegen der von Kündigung bedrohten
71 hochqualifizierten Musiker dieses herausragenden Ensembles, sondern
vor allem wegen all denjenigen, die ihren Horizont in dessen breitgefächerten
Angebotsspektrum bis jetzt erweitern durften. Trauer wegen der Schulklassen,
die künftig auf mitreißende Schulbesuche der Mitglieder
des Orchesters verzichten müssen – all das, damit die
Rundfunkgebühren wählerfreundlich niedrig bleiben. Ist
das der „verantwortungsbewusste Umgang mit dem Geld der Gebührenzahler“,
von dem Markus Söder sprach?
Kulturpolitische und ökonomische Überlegungen sollten
generell, und insbesondere in einem reichen Bundesland mit Vorbildfunktion
getrennt voneinander geführt werden. Das fällt im Falle
des Münchner Rundfunkorchesters auch gar nicht schwer, da dieses
gerade einmal ein Prozent des Gesamtetats des BR benötigt.
Ich appelliere an alle Entscheidungsträger in dieser Sache,
vor einer unumkehrbaren Entscheidung gewissenhaft und verantwortungsbewusst
zu reflektieren, denn von nichts kommt nichts, und wo kulturelle
Vielfalt war, bleibt dumpfe Einfalt.