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nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 49
50. Jahrgang | Juni
Dossier: Musikgespräch
Brinkmann/Rihm
Die Musik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Siemens-Preisträger Reinhold Brinkmann im Gespräch
mit Wolfgang Rihm
In diesem Jahr wird der Ernst von Siemens Musikpreis an den an
der Harvard Universität lehrenden deutschen Musikwissenschaftler
Reinhold Brinkmann verliehen. Aus diesem Anlass kam es in der Weihnachtszeit
zu einem außerordentlich umfangreichen Gespräch zwischen
Brinkmann und dem Komponisten Wolfgang Rihm, wo in lockerer Form
die Belange der Musik heute und die Schatten aus dem letzten Jahrhundert
diskutiert wurden. Die neue musikzeitung dokumentiert im folgenden
dieses Gespräch in Auszügen. In einem Gespräch mit
Reinhard Schulz im Vorfeld der Preisverleihung (am 31. Mai 2001)
ging Frau Hildegart Eichholz vom Ernst von Siemens Musikpreis auf
die Intention und die Geschichte des Preises ein.
1972 hat Ernst von Siemens, der Enkel des Gründers der
Siemens AG, den Musikpreis ins Leben gerufen. Er war ein großer
Freund der klassischen ernsten Musik, und er wollte sein privates
Vermögen einbringen, um das Lebenswerk eines Komponisten oder
Interpreten anzuerkennen. Verpflichtung also war die Auszeichnung
eines Lebenswerks, was in der Regel beinhaltet, dass der Preis an
Personen geht, die finanziell nicht darauf angewiesen sind. In vielen
Fällen wurde das Geld dann in weitere Arbeitsprojekte gesteckt.
Ernst von Siemens hatte freilich eine eher konservativ ausgerichtete
Position. Konflikte mit den Entscheidungen des Kuratoriums? Die
Verleihung des Preises an Karlheinz Stockhausen 1986 war vielleicht
die erste Klippe. Ernst von Siemens konnte damit gar nichts anfangen,
doch er hat die Entscheidung respektiert. Der Preisverleihung blieb
er dann fern. Das war das Höchste an Einspruch. Nach seinem
Tod 1990 hat sich dann der Preis immer mehr auf die Neue Musik zubewegt.
Ein Preis also, der sich von den ursprünglichen Intentionen
des Stifters wegbewegt? Nun, Ernst von Siemens war ein viel
zu intelligenter Mann, um nicht zu begreifen, dass er sich nicht
gegen diesen Zug der Zeit stellen konnte. Der Preis, das ist auch
ein Lernprozess. Neue Musik ist Arbeit, dafür war Ernst von
Siemens immer offen. Und ein verantwortungsvoll arbeitendes Kuratorium,
dessen Wirken mit der Zeit geht, handelt gewiss nicht gegen die
Stiftungsidee.
Für die nächsten drei Jahre (zunächst) hat die Stiftung
eine Million Mark mehr zur Verfügung, der Gesamtetat konnte
auf 2,5 Millionen Mark erhöht werden. Dadurch hat man die Möglichkeit,
bei den Zusatzpreisen über das bisherige Verfahren hinauszugehen,
auf Anträge zu reagieren. Alljährlich sollen in globalem
Sinne zwei Länder (diesmal Polen und New York in den USA) besonders
berücksichtigt werden, wofür die Vorschläge von kundigen
Personen vor Ort eingeholt werden. Die Höhe des Hauptpreises
bleibt vorerst bei 250.000 Mark. Heute gibt es freilich mehrere
Musik- oder Kunstpreise, die sich in vergleichbarer Höhe bewegen.
Droht dadurch innnerhalb dieser Landschaft eine gewisse Nivellierung?
Der Ernst von Siemens Musikpreis wird, zumindest im europäischen
Raum, immer wieder als Nobelpreis der Musik bezeichnet. Das ist
eine Würdigung durch die öffentlichen Medien, der sich
der Preis immer wieder gerne stellt. Ich möchte aber noch einen
zweiten Punkt ganz besonders hervorheben: Der Hauptpreis, der immer
als Aushängeschild in den Medien behandelt wird, ist nur ein
Bruchteil, jetzt gerade mal ein Zehntel der vergebenen Summe. Immer
versuche ich darauf hinzuweisen, dass der Rest, mehr als zwei Millionen
Mark, den eigentlichen Sinn der Stiftung ausmacht. Wir unterstützen
wissenschaftliche Forschungen und Konzertprojekte, wir geben jungen
Komponisten mit den Förderpreisen von 50.000 Mark die Möglichkeit,
eine geraume Zeit ohne finanziellen Druck ihrer Arbeit nachzugehen.
Natürlich steht der Hauptpreisträger immer im Rampenlicht,
und das soll auch so sein. Aber das, was sich gewissermaßen
in seinem Schlepptau ereignet, ist zumindest ebenso wichtig
und für die betroffenen Personen wohl noch weit wichtiger.
Das ist das eigentliche Verdienst des Ernst von Siemens Musikpreises.
Hierin unterscheiden wir uns auch von den anderen großen Preisen.
Bald kann der Ernst von Siemens Musikpreis auf eine Geschichte von
drei Jahrzehnten zurückblicken. Unter den Hauptpreisträgern
findet sich bislang keine Frau (auch das Kuratorium ist fest in
männlicher Hand). Ein maskuliner Preis? Hier ist wirklich
ein echter Bedarf. Aber bei den Entscheidungen bisher wurde immer
wieder festgestellt, dass es in Bezug auf ein Lebenswerk noch nicht
gereicht hat. Es ist gewiss keine Frauenfeindlichkeit. Aber es muss,
manchmal möchte man sagen leider, immer eine subjektive Entscheidung
bleiben. Und dann wird einem manchmal durch den Tod einer für
den Preis anstehenden Person das Heft aus der Hand genommen. Ich
denke an Nono oder jetzt an Xenakis. Und ich wäre froh, wenn
es endlich auch einmal eine Frau wäre.
Abschließende Frage war, wie es denn zu diesem wirklich
immensen Gespräch zwischen Reinhold Brinkmann und Wolfgang
Rihm gekommen sei. Wir haben uns überlegt, dass Brinkmann,
der ja in den USA lebt, hier so selten argumentativ zu haben ist.
Hermann Danuser aus dem Kuratorium kam dann auf die schöne
Idee, Rihm und Brinkmann einfach zusammenzuspannen und sie über
Musik reden zu lassen. Rihm war über die Weihnachtstage in
Badenweiler und Brinkmann war in diesen Ferien in Berlin. Wir fragten
ihn, ob er nicht nach Badenweiler zu so einem Ad-hoc-Gespräch
kommen wollte, und er war sofort bereit. Und dann saßen sie
zwei Tage zusammen und haben über die Belange der Musik gesprochen.
Es entstand ein Versuch, sich zwanglos und zugleich tief und mit
engagiertem Ernst über die musikkulturellen Bedingungen heute
zu unterhalten. Vielleicht ein Gespräch in sokratischem Geiste.
(Das vollständige Gespräch wird im Oktober bei der ConBrio
Verlagsgesellschaft in Buchform erscheinen, Preis: 19,80 Mark)