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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 7
57. Jahrgang | März
Magazin
Begrüßenswertes, aber auch weniger Hilfreiches
Stellungnahme der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) zum Enquete-Bericht „Kultur
in Deutschland“
Zu 1.: Bezieht man die deutschen Kulturorchester in die Empfehlungen der
Enquete-Kommission mit ein, was ohne Weiteres unterstellt werden kann, so ist
dieser Vorschlag
unbedingt zu begrüßen, bedarf aber vor allem – wie rund 75
Prozent aller Empfehlungen – der besonderen Umsetzung auf Landes- und
Kommunalebene. Dort liegt fast ausschließlich die Kultur- und Finanzhoheit
(auch) für die Orchester. Schon bei der Deutschen Orchesterkonferenz 2006
in Bochum war es zentrales Thema, inwieweit örtliche Netzwerke um die
Theater und Orchester herum nicht nur diese absichern, sondern auch einen Mehrwert
für andere Kultur- und Bildungsinstitutionen (Kindergärten, Schulen,
Museen, Bibliotheken, freie Gruppen usw.) und damit für die ganze Gesellschaft
liefern.
Zu 2.: Die große Privatisierungswelle im Theater- und Orchesterbereich
in den vergangenen Jahren seit der Wiedervereinigung hat gezeigt: Allein die
Rechtsform der GmbH bewirkt nichts, wenn nicht auch die weiteren organisatorischen
und finanziellen Rahmenbedingungen stimmen. Theater oder Orchester müssen
als extrem personalintensive Betriebe 85 bis 90 Prozent des Budgets für
Künstler, Technik und Verwaltung aufwenden. Daran ändert auch eine
womöglich flexiblere Rechtsform nichts. Erfolgt keine auskömmliche
Finanzierung, vorrangig durch die öffentliche Hand, droht die Insolvenz
mit all ihren negativen Folgen. Meine Meinung: Wenn schon verselbstständigen,
dann richtig und in Form einer öffentlich-rechtlichen Stiftung nach dem
Vorbild der „Stiftung Berliner Philharmoniker“.
Zu 3.: Dieser Vorschlag war auch in den Stellungnahmen der Deutschen Orchestervereinigung
für die Enquete-Kommission enthalten, und es ist erfreulich, dass er direkt
aufgegriffen wurde. Orchester planen zwei bis drei Jahre voraus, Opernhäuser
noch länger, unter anderem, um sich rechtzeitig bestimmte Solisten, Dirigenten,
Regisseure und so weiter sichern zu können. Es ist ein Unding, wenn es
vor diesem Hintergrund seitens der öffentlichen Hand aufgrund nicht bestätigter
oder verspäteter Haushaltsaufstellung zu Eingriffen in das laufende Haushaltsjahr
beziehungsweise die Spielzeit kommt. In krassen Fällen wurden gar bereits
abgeschlossene Haushaltsjahre im Nachhinein mit nachträglichen Abzügen
belastet. – Was die Theater und Orchester brauchen, sind mindestens drei-,
besser fünfjährige, zivilrechtliche verbindliche Zuwendungsverträge,
die Planungssicherheit gewähren und gute Einspielergebnisse und das
Einwerben von Drittmitteln belohnen, nicht bestrafen.
Zu 5.: Ich stimme insoweit dem Sondervotum von Olaf Zimmermann zu: Das Aushandeln
von Arbeitsbedingungen sollte man den Tarifvertragsparteien überlassen,
da sie über die größere Sachnähe zu den angesprochenen
Bereichen verfügen. Auch handelt es sich bei diesem Punkt um eine ziemlich
einseitige Sicht der Dinge, die die deutliche Handschrift des Deutschen Bühnenvereins
als Arbeitgeberverband trägt. – Den einheitlichen „Rahmenkollektivvertrag
Theater/Orchester“ gab es übrigens schon mal – bis 1990 in
der DDR. Haben die Theater und Orchester dort besser funktioniert als in der
alten BRD? Und was soll ein Konzertorchester mit einem NV Bühne anfangen,
wenn es doch ganz überwiegend nur Musiker beschäftigt? Ein Stück
weit war bei dieser Empfehlung der bloße Wunsch Vater des Gedankens.
Zu 6.: Diese Empfehlung haben wir mit besonderem Interesse zur Kenntnis genommen:
Es ist letztlich eine uralte Geschichte, ob die öffentlichen Arbeitgeber
in Ländern und Kommunen einen Teil ihrer Verhandlungszuständigkeit
(für die nichtkünstlerisch Beschäftigten) auf den Deutschen
Bühnenverein (DBV) übertragen, oder umgekehrt (für die künstlerisch
Beschäftigten). Letzteres wäre allerdings mit der faktischen Entmachtung
des DBV verbunden, was dieser nicht zulassen wird. Auch deswegen favorisiert
die Enquete-Kommission an anderer Stelle (S. 115 oben, rechte Spalte der BT-Drs.)
Haustarifverträge des Rechtsträgers unmittelbar mit den Gewerkschaften
und ohne DBV (Vorbild: das sog. „Weimarer Modell“).
Zu 8.: Die Idee von Zielvereinbarungen im Bereich der Kulturförderung
unter Einschluss der Musik- und Kulturvermittlung ist sicher ein begrüßenswerter
Ansatz. Nur: Bitte nicht über das Ziel hinausschießen! Theater und
Orchester können kein Ersatz für das sein, was unverändert an
musischer und kultureller Grundausbildung in Familien und Schulen erfolgen
muss. Was Kulturorganisation allerdings im Verbund mit anderen verstärkt
leisten können, sind konkrete Hilfestellungen im Rahmen örtlicher
Netzwerke
(„teach the parents“ und „teach the teachers“, wobei
beide Gruppen durchaus belehrungsresistent sein können).
Zu 16.: Das Arbeitszeitgesetz enthält bereits einige Öffnungsklauseln
für tarifliche Regelungen im Theater- und Orchesterbereich, die zu Lasten
der Künstler und ihrer Familien nicht noch weiter ausgedehnt werden sollten.
Zu 17.: Auch diese Empfehlung ist wenig hilfreich, da der Tendenzschutz in
der Tat schon zahlreiche Einschränkungen in der Mitbestimmung der Betriebs-
und Personalräte bedingt, die nicht noch weiter ausgehöhlt werden
sollte.
Klaus Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung