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nmz-archiv
nmz 2008/03 | Seite 7-8
57. Jahrgang | März
Magazin
Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen
Stellungnahme der Dienstleitungsgesellschaft ver.di zum Enquete-Bericht
Der Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ umfasst
quantitativ beeindruckende 509 Seiten und versucht zu einer Fülle von
Fragestellungen zum oben genannten Themenkreis eine Aufarbeitung des derzeitigen
Spektrums zu leisten, um dann darauf aufbauend Empfehlungen abzugeben, wie
nach Ansicht der Kommission die „Kultur in Deutschland“ weiter
entwickelt werden soll.
Um ihren Empfehlungen einen objektiveren Anstrich zu geben, hat die Enquete-Kommission
externe Sachverständige berufen und in die Arbeit der Kommission einbezogen.
Eine Beteiligung von Arbeitnehmer/-innen, ihrer Verbandsvertreter oder Personal-
oder Betriebsräten fand dabei nicht statt. Die von ver.di der Kommission
gegenüber zum Ausdruck gebrachte Kritik wurde mit dem Hinweis, dass die
Kommission keine Empfehlungen zu Tariffragen abgeben würde, zurückgewiesen.
Es darf daher nicht wirklich verwundern, wenn manche Empfehlung von wenig Detailkenntnis
zeugt und daher an den Realitäten völlig vorbeizielt oder aber wie
eine Wunschliste von Arbeitgeberverbänden klingt. Allerdings darf dies
ebenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Empfehlungen im
politischen Raum stehen und der Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ als politische Handlungslegitimation herangezogen werden
kann.
Die Positionierung der Bundesfachgruppe Theater und Bühnen/Darstellende
Kunst wird sich daher auf die Empfehlungen konzentrieren, die unmittelbar
für
diesen Bereich abgegeben wurden und im Falle der Umsetzung erhebliche
Auswirkungen auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
für diesen Personenkreis hätten.
Tarif- und arbeitsrechtliche Situation der Künstler und Kulturberufe
Hierzu hat die Kommission folgende Empfehlungen abgegeben: „Die Enquete-Kommission
empfiehlt den kommunalen und staatlichen Trägern, für alle Beschäftigten
in den Theatern, Opern und Orchestern bühnengerechte Arbeitsbedingungen
zu schaffen. Das Dogma von der „Einheitlichkeit aller Tätigkeiten
des öffentlichen Dienstes“ ist überholt und kann an den Theatern
kaum noch praktiziert werden. Dies verlangt für das künstlerische
und nichtkünstlerische Personal den Abschluss einheitlicher Bühnen-
oder Branchentarifverträge, die den besonderen Bedingungen des Theaterbetriebs
gerecht werden und eine theatergerechtere Gestaltung der Arbeitszeiten ermöglichen.
Hierfür gibt es bereits zahlreiche praxistaugliche Beispiele wie etwa
den Normalvertrag Bühne und diverse Haustarifverträge.“
Zu 6.: Entgegen ihrer Zusicherung mischt sich die Kommission mit ihren Empfehlungen
in die nach Artikel 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützte Tarifautonomie
ein und überschreitet damit deutlich das Maß ihres Auftrages und
ihrer Zuständigkeit. Es darf noch einmal daran erinnert werden, dass die
Enquete-Kommission im Auftrag des Bundestages tätig wurde und damit an
die verfassungsrechtlichen Grundsätze gebunden war.
Die Empfehlung der Kommission läuft im Kern darauf hinaus, den NV Bühne
zum allgemeingültigen Branchentarifvertrag für den Theater- und Bühnenbereich
zu erheben und damit den Deutschen Bühnenverein (DBV) zum „federführenden“ Arbeitgeberverband
aufzuwerten. Ein Auftragsgutachten des DBV hätte nicht deutlicher ausfallen
können. Abgesehen davon, dass diese Empfehlung in keiner Weise begründet
oder gar mit Tatsachen hinterlegt wird, bleibt die Kommission die Antwort auf
ein paar grundsätzliche Fragen, warum denn die Enquete-Kommission die
nichtkünstlerisch Beschäftigten im Bereich der Theater und Bühnen
zukünftig ohne sachlichen Grund und im Widerspruch zum TzBfG einer generellen
Befristung ihrer Beschäftigungsverhältnisse unterwerfen will, warum
für die Beschäftigten in der Verwaltung zukünftig statt der
Arbeitsgerichtsbarkeit allein die Bühnenschiedsgerichtsbarkeit zuständig
sein soll oder warum alle Beschäftigten in den Theatern und Bühnen
ständig und jederzeit für den Arbeitgeber erreich- und abrufbar sein
müssen (auch in ihrer knappen Freizeit, denn der NV Bühne ermöglicht
für künstlerisch Beschäftigte eine regelmäßige Arbeitszeit
von 48 Stunden pro Woche), um nur einige Beispiele zu nennen, völlig schuldig.
Aber auch die Empfehlungen zur Deregulierung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
reichen der Enquete-Kommission noch nicht aus. So wird denn auch folgerichtig
dem Bund (in seiner gesetzgeberischen Funktion) nahegelegt, im ArbZG eine „allgemeine Öffnungsklausel“ für
den Theater- und Bühnenbereich vorzusehen, die es erlauben soll, von allen
Mindestschutznormen, die europarechtlich einheitlich in einer verbindlichen
Richtlinie (Richtlinie 93/104/EG des Rates über bestimmte Aspekte der
Arbeitszeitgestaltung vom 23.11.1993 in der novellierten Fassung als Richtlinie
2003/88/EG des EU-Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der
Arbeitszeitgestaltung vom 4.11.2003) geregelt sind, beliebig abweichen zu können.
Abgesehen davon, dass das ArbZG schon jetzt sehr weitreichende, von den Mindestschutznormen
abweichende Reglungen zulässt, wäre eine solche Öffnungsklausel
nicht richtlinienkonform und damit europarechtswidrig und darüber hinaus
auch völlig unverhältnismäßig.
Zu 17.: Diese pauschale
Empfehlung zur Ausweitung des Tendenzschutzes in den oben genannten Gesetzen
bei gleichzeitiger Vorabkonkretisierung – Beseitigung
der Mitbestimmung der Personal- und Betriebsräte in Arbeitszeitfragen – ist
in ihrer Absicht schlicht ungeheuerlich und geht in ihrer Zielrichtung weit über
den Theater- und Bühnenbereich hinaus. Eine derartige Änderung würde
uunter anderem auch den gesamten Medienbereich betreffen und greift darüber
hinaus direkt den Regelungsgehalt des Artikel 2 des Grundgesetzes an.
Umso beachtlicher ist daher das Sondervotum der Abgeordneten Lydia Westrich
(SPD), die sich klar und deutlich gegen diese Handlungsempfehlung positioniert
hat. Die Handlungsempfehlung „läuft auf die völlige Abschaffung
der Mitbestimmung an Theatern hinaus. Eine vertrauensvolle Mitbestimmung aber
ist Bestandteil des Betriebsfriedens. Sie fördert das gemeinsame Ziel
aller Bühnenangehörigen, vom Intendanten bis zur Reinigungskraft,
nämlich die Erschaffung von Kunst. Die vorliegende Handlungsempfehlung
aber grenzt die Betriebsangehörigen aus, statt alle Bühnenangehörigen
in den Prozess der Schaffung von Kunst einzubinden.“ Aber auch ein Sachverständiger,
Olaf Zimmermann, hat gegen die Handlungsempfehlung zum „Tendenzschutz“ gestimmt,
die Fraktion DIE LINKE. und der Sachverständige Prof. Dr. Dieter Kramer
hielten sie angesichts der ohnehin dürftigen Mitbestimmungsrechte in Tendenzbetrieben
für „nicht nötig“.
Für die Mehrheit in der Enquete-Kommission aber ist Demokratie offensichtlich
kein Kulturgut, jedenfalls dann nicht, wenn es um innerbetriebliche Demokratie
geht. Künftig könnte am Bühneneingang stehen: „Hier endet
der demokratische Sektor. Im Namen der Kultur in Deutschland“.
Wolfgang Paul, ver.di Bundesvorstand/Fachbereich 8, Bundesfachgruppenleiter
Theater und Bühnen/Darstellende Kunst