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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 1
54. Jahrgang | Februar
Leitartikel
Wo Intendanten hobeln, fallen die Töne
Die Spardiskussionen im Rundfunk gewinnen an Schärfe ·
Von Gerhard Rohde
Es ist wie beim Tsunami: Die Ministerpräsidenten der Länder
werfen einen Spargroschen ins Wasser, die Wellenbewegung setzt sich
fort und schreckt die Rundfunkintendanten samt deren Räten
auf. Dadurch gewinnen die bewegten Wassermassen erst richtig an
Fahrt und Höhe, und zuletzt, oder in diesem Fall auch zuerst,
verschlingen diese die Menschen im Rundfunkmusikland, die Orchester
und Chöre und alles, was zu einer innovativen, profilierten
Musikkultur im Rundfunk gehört.
Eigentlich
hat die neue musikzeitung zum aktuellen Thema das Wesentliche schon
gesagt – siehe nmz
11/2004: „Die Rundfunkintendanten machen Geräusche“.
Inzwischen haben sich die Geräusche zum Gefechtslärm gesteigert,
und am lautesten tönt der Intendant des Südwestrundfunks,
Peter Voß, aus seinem pensionssicheren Hauptquartier. Im letzten
Dezember rief er zur Unterstützung seiner Absichten den Rundfunkrat
des Senders ein und verteilte an deren Mitglieder ein umfangreiches
Papier, in dem er seine inzwi- schen bekannten Thesen zur Kultur
im Rundfunk darlegte. Damit die Diskussion nicht abstirbt, was sich
manche Rundfunkgewaltige vielleicht erhoffen, veröffentlichen
wir in dieser Ausgabe weitere Beiträge mehrerer Autoren zum
Thema „Klangkörper des Rundfunks“. Reinhard Schulz
beschreibt und kritisiert das Denken, das die gegenwärtigen
Diskurse prägt (Seite 12: Was
braucht der Mensch?) Die Zielrichtung seiner Kritik ist dabei
klar: Auf seinen medienkritischen „Nachschlag“
zur Auflösung des Bayerischen Rundfunkorchesters (nmz 12/04-1/05)
antwortet der Leiter der Abteilung Kommunikation beim Bayerischen
Rundfunk, Andreas
Geyer, in einem Leserbrief (Seite 9). Auf derselben Seite findet
sich auch ein „Offener Brief“, den das Bundestagsmitglied
Günter Nooke, Medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
im Bundestag, an die ARD-Inten- danten Peter Voß (SWR) und
Thomas Gruber (BR) schrieb. In Berlin hatte der Deutsche Musikrat
zusammen mit dem Westdeutschen Rundfunk zu einer Podiumsdiskussion
über die Rundfunkklangkörper geladen. Darüber berichtet
Susanne Geißler auf Seite
8: Auslaufmodell.Schließlich
ruft Max Nyffeler auf Seite 45 dem Kulturauftrag des Rundfunks ein
kritisch-grimmiges „Adieu“ nach.
In den genannten Beiträgen, sogar im Leserbrief des BR-Kommunikators,
finden sich genügend Argumente für eine konstruktive Diskussion.
Was allerdings mehr und mehr verdrießlich stimmt, ist der
wachsende Eindruck, dass die Rundfunkintendanten gar keine offene
Diskussion über den Gegenstand „Klangkörper“
mehr wünschen. Sie erinnern dabei an Molières „Menschenfeind“,
der seine Gesprächsabneigung mit dem Satz konterkarierte, er
wolle „grimmig sein“ und „hören möge
er nicht“. Dazu passt, dass in einigen Fällen Rundfunkangehörigen
und Mitarbeitern ein „Maulkorb“ vorgehängt oder
die Teilnahme an öffentlichen Diskussionen untersagt wurde.
In manchen Führungsetagen der öffentlich-rechtlichen Anstalten
scheint man seltsame Vorstellungen von demokratischer Offenheit
zu haben, wozu auch die offene, sachliche Diskussion gehört.
Man wüsste auch etwas anderes gern: Wenn die Ministerpräsidenten,
ängstlich auf die Stimmung des allgemeinen Volkes bedacht,
die beantragte Gebührenerhöhung genehmigt hätten,
wären dann die eingeleiteten oder angedrohten Orchesterauflösungen
oder Reduzierungen unterblieben? Es verstärkt sich der Eindruck,
dass die Intendanten das klägliche Verhalten der Ministerpräsidenten,
speziell der Herren Steinbrück, Stoiber, Milbradt, insgeheim
nur allzu gern zum Vorwand nehmen, um ihre Vorstellungen von „Rundfunk
und Musik“ durchzusetzen.
Dass diese Vorstellungen die gewachsene Geschichte der Musik im
Rundfunk einfach auszuklammern versuchen, sich opportunistisch selbst
einen „Kulturauftrag“ neu definieren, der sich nur mehr
auf Berichterstattung und simple Vermittlung beschränken möchte,
muss entschiedenen Widerspruch hervorrufen.
Aber vielleicht muss man auch einfach nur resignieren: Auch in
den Rundfunk- und Fernsehanstalten regiert inzwischen eine Generation,
die Reinhard Schulz in seinem „Nachschlag“
(Seite 12) treffend charakterisiert. Früher hätte
man solche Leute als Banausen bezeichnet.
Heute genießen sie allgemeine Hochachtung, weil sie auf einem
Kulturniveau agieren, von dem aus kaum noch Zeichen zur Bildung
und Formung einer bewussteren Menschengesellschaft ausgehen. Auch
wenn es heute pathetisch klingen mag, aber der Dichter Grillparzer
hat schon zu seiner Zeit hellseherisch eine Entwicklung vorausgesehen,
die auch in unseren Tagen nicht zum Stillstand gekommen ist: „Das
Edle schwindet von der Erde; das Hohe sieht vom Niedern sich verdrängt
und Freiheit wird sich nennen die Gemeinheit.“ Je länger
man über Grillparzers Worte nachdenkt, hinter ihrem hohen Bildungston
forscht, desto aktueller scheint ihre sachliche Mitteilung zu sein:
Was mit den Musikern in den Funkanstalten geschieht, hat viel mit
Grillparzers „Gemeinheit“ zu tun.