2000
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Er stand an der Wand, der eher unauffällige Mann in mittleren Jahren, um ihn war auf dem sonst überfüllten Empfang für irgendwas und irgendwen wie unabsichtlich ein leerer Raum entstanden, einige nickten ihm verstohlen zu. Ich wusste, der mir namentlich nicht bekannte Mann war angesehener Musikkritiker der in Dortmund erscheinenden „Ruhr-Nachrichten“. Als unsicherer Anfänger sprach ich in den frühen fünfziger Jahren mit jedem, der mir irgendwie erfahren vorkam. Der Mann war einsilbig, stellte sich nicht vor, ich gab ihm die Hand und verschwand wieder. Die kleine Szene in der fremden Stadt hatte ich bald vergessen, aber sobald mir der Name des blassen Mannes mit zunächst „harmlosem“ Werdegang bekannt war, überschattete der Händedruck Jahrzehnte meines Lebens – und nicht nur dieser. Es war Dr. Herbert Gerigk, „Leiter der Hauptstelle Musik“ im Amt Rosenberg, Initiator und Herausgeber des „Lexikon(s) der Juden in der Musik“ von 1940, in vier Auflagen bis Juli 1943 erschienen, ferner maßgeblich im Sonderstab Musik bei dessen Kunstraubaktionen. Eva Weissweiler hat im Dittrich–Verlag Köln unter der Nazi–Wunschvokabel „Ausgemerzt!“ das Lexikon kommentiert und den Erstdruck als Faksimile eingefügt; davon wird im „Tagebuch“ noch die Rede sein. Ich hatte einem Schreibtischmörder die Hand gegeben. Von anderen in Amt und Würden, die zu mir freundlich waren, kannte ich die Namen, nicht aber ihre früheren Publikationen. Jetzt kenne ich sie – und das Ausmaß von Verdrängung.
Der Anlass ist wenig spektakulär. An der Deutschen Oper Berlin fand „anlässlich des Richard–Strauss–Jahres 1999“ die 10. Aufführung der „Frau ohne Schatten“ seit der Premiere am 26.9.1998 statt. Die Ausgangsbedingungen für das Gelingen der Vorstellung schienen denkbar ungünstig zu sein. Der Dirigent des Abends, Generalmusikdirektor Christian Thielemann, hatte vor wenigen Tagen seinen Rücktritt erklärt (vgl. nmz 12/99, S. 31); er wolle auch als Gastdirigent für das Wagner- und Strauss-Repertoire unter dem Götz-Friedrich-Nachfolger Udo Zimmermann nicht zur Verfügung stehen. Der Zwist der Intendanz und des Personalrates mit dem Orchester in Sachen der „Medienpauschale“ war eben gerade beigelegt, übrigens dank einer Intervention von Udo Zimmermann. Die Hauptpartien aus der Premierenbesetzung waren nahezu komplett umbesetzt; verblieben war die Amme von Jane Henschel. Der aus der Erstbesetzung übernommene Thomas Moser (Kaiser) erkrankte – für ihn übernahm Alan Woodrow die Partie, mit der er freilich bestens vertraut ist, zum Beispiel aus München. Die Inszenierung von Philippe Arlaud konnte er nicht kennen, aber sie fand auch gar nicht statt; es handelte sich um ein Arrangement in diskutabler Optik, ebenfalls von Arlaud erdacht.
Und jetzt das „Geheimnis“: Es war eine wunderbare, vielbejubelte Vorstellung, nahezu von Weltformat. Thielemann traf mit brennendem Engagement und kühler Präzision genau den Ton dieses schwierigen Werkes, mit dem Strauss – wenn auch nicht sehr ökonomisch – an seine grandiosen Opern-Anfänge („Salome“, „Elektra“) anknüpft, sich damit indes auch aus der Jahrhundert-Moderne verabschiedet. Die Partitur gab sich verschlankt ohne Verrat an der Opulenz, sie wurde durchhörbar bis in die verborgenste Figur des Mittelstimmen–Geflechts. Das Orchester, auch in Hinsicht auf seine Qualität nicht immer zu Unrecht gescholten, spielte, als hätten sich die Wiener Philharmoniker mit Spitzenmusikern der „big five“ aus den USA verbündet. Die komplexe Symbolsprache des einer zeitenthobenen Idealität verpflichteten Kunstmärchens verdeutlichte sich auf diesem musikalischen Grund zu einer Utopie über Liebe, Menschsein und Eros, deren Sinnenhaftigkeit die Realitätsferne aufhob. Die Sängerinnen und Sänger – neben der Henschel und Woodrow neu Alessandra Marc als Kaiserin, Luana DeVol als Färberin, Wolfgang Brendel als Färber Barak – bildeten ein Ensemble hohen Ranges. Alessandra Marc, in ihrer Erscheinung von der somnambulen Transparenz der Feentochter weit entfernt, öffnete den Mund und sang (ich kann es nicht anders sagen) wie ein Engel. Das Geheimnis der Kunst bricht die Realität. Ungeplant. Sehr selten.
An meiner Pinnwand sammle ich unreflektierte Einfälle. Seit zwei Jahren ist auf einem Zettel zu lesen: „Mein Zweifel an der musikalischen Kompetenz von Christian Thielemann beginnt bei seiner politisch-moralischen Inkompetenz.“ Ich kannte den Dirigenten damals noch kaum. War mein Gedanke leichtfertig, ja verantwortungslos? Er fand seine Stütze in einem Vortrag, den Hanns-Werner Heister auf dem Symposion des „steirischen herbstes“ 1997 in Graz gehalten hatte. Es heißt da unter der Überschrift „Geschichtlichkeit und Fortschritt“: „Der neue GMD der ‚Deutschen Oper’ in Berlin, der gerade 38-jährige Christian Thielemann, versteht sich als ‚deutscher Dirigent’ und verehrt Friedrich II. von Preußen und dergleichen mit dem Vokabular von Berufsjugendlichen ... als ‚knallhart’ und zugleich von ‚unglaublicher Sensibilität’... Vor Jahren schon als GMD in Nürnberg dirigierte Thielemann beim Sylvesterkonzert ‚Fridericus Rex’ und hätte am liebsten gleich den ‚Badenweiler’, Hitlers Parademarsch, zugegeben. Aber ‚der steht ja auf dem Index, ich weiß gar nicht, warum’.“ Heister beruft sich auf ein offenbar von den Fragen wie von den Antworten her gleichermaßen borniertes „Spiegel“-Interview und folgert daraus: „Eislers berühmte Kritik an der ‚Dummheit in der Musik’ wäre also um das aktuelle Kapitel ‚Dummheit führender Musiker’ zu erweitern.“ Die Bezeichnung „Deutsche Oper“ erhielt für den Vortragenden „einen ziemlich drohenden Unterton“.
Nun lässt sich, scheint mir, von der Dummheit „führender“ Künstler auf den Kunstgehalt ihrer Hervorbringungen nicht ohne weiteres schließen. Zumindest sind die Namen Richard Wagner, Wilhelm Furtwängler, Gustaf Gründgens – um nur die prominentesten zu nennen – Gegenbeispiele. Das hat damit zu tun, dass die Kunst als ein Sinnzusammenhang nicht Wahrheit über das Leben, sondern selbst in der Erscheinungsform zugespitzter Realitätskritik eine idealische, vorscheinhafte Spielart des so genannten realen Lebens bereithält. Dabei steht der sinnvolle Zusammenhang selber auf dem Prüfstand. In dem von Heinz–Klaus Metzger und Rainer Riehn exzellent edierten Sonderband „Darmstadt–Dokumente I“ (in der „edition text+kritik“) fand ich die Wiedergabe eines „Internen Arbeitsgesprächs“ von 1966, an dem auch Theodor W. Adorno teilgenommen hatte. In einem Statement ging er von dem Begriff „des sinnvollen Komponierens“ aus und stellte dem entgegen: „Es ist aber nun ... eine sehr große Frage, ob dieser Begriff des Sinnes heute noch verwandt werden kann. Denn dieser Sinn selber ist ja ... eigentlich ein metaphysisches Prinzip, hinter dem im Grunde steht, daß, wenn die Kunst also eine Erscheinung der Wahrheit ist, die Wahrheit dann selber ein solches Sinnvolles sei. Dessen sind wir aber in gar keiner Weise mehr sicher ... Und die Frage, der man hier gegenübersteht ..., ist die, ob angesichts der Krise, in der der Begriff des sinnvollen Daseins selber steht, die Kunst, die notwendig sich an dem Begriff einer sinnvollen Organisation orientiert, als eine solche überhaupt noch möglich ist.“
Das könnte ein Satz aus dem Jahr 2000 sein. Nur: Kunst ist nicht eine Erscheinung der Wahrheit. Deshalb ist sie möglich und notwendig. Sie eliminiert sogar die Dummheit von Künstlern, mit der diese der „Realität“ begegnen.
Claus-Henning Bachmann
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