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Keine Frage, dass die Kunst ein Machtfaktor ist. Freilich wäre eher an Massen-Phänomene zu denken, die Aggressionen freisetzen, Abhängigkeiten bewirken, als an Darstellungen der feineren Art. Allerdings gibt es Kathedralen der Macht wie die Peterskirche, Versailles oder den Prado. Aber sind Klang-Installationen mächtig? Die Frage erscheint ziemlich absurd, doch eben diese Macht wurde von einer engagiert wirkenden Dame aus dem Publikum nach einer jener trübsinnigen Podiumsdiskussionen behauptet, denen ihr Scheitern schon mit der Themenstellung eingeschrieben ist; diesmal ging es – zum Auftakt des sonst erfolgreichen Berliner Festivals „UltraSchall“ – um „Komposition contra Installation“. Klangkunst, sagte die Zuhörerin, nehme alle Sinne in Anspruch, während man in Konzerten auch mal „abschalten“ könne; ob man sich dessen bewusst sei? Das Podium schien irritiert. Die beiden Klang-Installationen, die zur Diskussion Anlass gaben, wiesen den Gedanken an Machtausübung eher von sich. Sie war der zartschwingenden „Zirkulären Aleatorik“ von Peter Tucholski, einer Instrumentierung des Lichthofs im symbolbeladenen Poelzig-Bau des heutigen SFB, dem Haus des Rundfunks, sowenig zugeordnet wie einer der sinnreichsten Klang- und Licht-Kompositionen überhaupt: „Der Glocken Schlag“ von Christina Kubisch für die St. Matthäus-Kirche regte an zur Meditation über (Bergwerks-) Arbeit und Sakralbau, Manufaktur und Technik, Struktur und Zufall. Was also mag die Dame erregt haben, wo doch die allgegenwärtige Beschallung das Verstörende ist? Ich denke, dass es sich um eine Projektion handelte. In der Psychologie gibt es den Begriff des idealisierten Objekts. Künstler müssen wissen, dass sie Ängste aufnehmen. Ihr Werk verspricht den Schutz, den es versagt.
Mahnkopf hat wieder zugeschlagen. Seine neueste Parforcetour für die „komplexistische“ Musik der Gegenwart und eine „dekonstruktivistische“ Avantgarde absolviert er in „Sinn und Form“, herausgegeben von der Berliner Akademie der Künste. Um Missverständnissen vorzubeugen: „Die Musik des 21. Jahrhunderts“ ist ein leidenschaftlicher, zwar polemischer, aber weithin auch schlüssig argumentierender Text, ausgehend davon, dass „Kultur und Kapitalismus ... unvereinbar“ seien und „eine neue Gegenaufklärung ... von uns Besitz ergriffen“ habe. Ich lese darüber hinweg, dass für die Neue Musik „eine professionelle Kritik, wie wir sie von Literatur und Film gewohnt sind“, fehle. Einspruch anzumelden ist gegen die Reduktion auf drei derzeitige, mit Namen verbundene „Tendenzen“: György Kurtág, der „das Moment des emphatischen Ausdrucks menschlicher Existentialien ... nostalgisch und doch nicht reaktionär“ einfordere, Helmut Lachenmann, der „seine Sensibilität dem phänomenaliter noch nicht Dagewesenen“ leihe und (wen wundert’s!) Brian Ferneyhough, der „nochmals, wie einst Schönberg, den Anspruch umfassender kompositionstechnischer Meisterschaft“ erfülle. Dazu gesellt sich, irgendwie als Nachhut, Mathias Spahlinger, „der letzte Verfechter“ anscheinend von „Negationen“.
Mitunter kann man sich seine Fürsprecher nicht aussuchen. Ich habe Ferneyhough früh und gut gekannt. Ich achte ihn sehr; er bedarf einer verabsolutierenden Lobpreisung wie der von Claus-Steffen Mahnkopf nicht. Ferneyhough hat mich in den siebziger Jahren darin bestärkt, dass „Musik eine Denkstruktur ist, eine von vielen“. In den Radio-Gesprächen mit ihm findet sich ein Satz, dessen Räumlichkeit die Gegenaufklärung konterkariert: „Man darf nicht ein Kunstwerk von der Welt trennen, weil man nicht das Denken von dem Fühlen trennen kann.“
Die für die Nazis „erfolgreichen“ Kriegsjahre 1939/40 ließen die Herzen höher schlagen. Auf Wunsch des „Führers“ gab „Reichsleiter“ Alfred Rosenberg im August 1940 die Errichtung einer Hohen Schule der NSDAP bekannt, „schlichtweg“ als „Hohe Schule (HS)“ bezeichnet. Das erste ihrer Institute – in Frankfurt/Main – hatte sich dem zu widmen, was die damaligen Machthaber die „Jüdische Frage“ nannten. Nach einer Aufstellung vom Januar 1943 war für Musik der berüchtigte Dr. Herbert Gerigk zuständig, für Theater Dr. Walter Stang, später Dr. Elisabeth Frenzel, Spezialistin für „Judengestalten auf der deutschen Bühne“ und offensichtlich identisch mit der Verfasserin eines vielbenutzten Stofflexikons der Weltliteratur von 1963, für das sie „nach dem Kriege erneut die Primärliteratur durcharbeitete und sich mit den neuen Denk- und Forschungsweisen vertraut machte“. Was wohl auch notwendig war. Die Hohe Schule, Sachgebiet Musik, wurde im enteigneten Gebäude der Ehemaligen Höheren Israelitischen Schule in Leipzig am 1. April 1943 eröffnet, allerdings für weniger als ein Jahr, dann fielen Bomben auf das geraubte Grundstück. Zu den Projekten der Hohen Schule, mit denen Gerigk beauftragt war, gehörte auch eine umfassend angelegte Musik-Enzyklopädie, als ähnlich „kriegswichtig“ eingestuft wie das SS-Unternehmen „Ahnenerbe“. Das Projekt dieser „Musik in Geschichte und Gegenwart“ traf zeitlich mit dem Kriegsbeginn zusammen.
Dieses Unternehmen gehörte keineswegs zu den „großen Planungen“ des Bärenreiter-Verlages im Zusammenhang mit den musikalischen Gesamtausgaben, wie dessen Gründer Karl Vötterle in seinen Erinnerungen „Haus unterm Stern“ glauben machen wollte. Der Nazi-Staat stand dahinter, die ruhmreiche MGG ist eine Kopfgeburt der Hohen Schule. Noch am 28. September 1944, als der „totale Krieg“ ins Ende stürzte, berichtete Dr. Günther Haußwald, bald darauf Redakteur des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart, in einer Essener Zeitung über die „umfassende, großzügige musikalische Enzyklopädie ... unter dem Titel ‘Die Musik in Geschichte und Gegenwart’“. Einzelheiten mag man nachlesen bei Willem de Vries: „Sonderstab Musik – Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940-45“ und Eva Weissweiler: „Ausgemerzt! – Das Lexikon der Juden in der Musik und seine mörderischen Folgen“. Beide Bücher, Köln 1998 und 1999, erschienen im Dittrich-Verlag, gehören zusammen. Gerigk wollte das „Lexikon“ noch 1945 in einer 5. Auflage herausbringen. Ein Vorläufer war der Artikel von Hans Költzsch „Das Judentum in der Musik“, der „das Grauen“ bei der Erinnerung an die „Judenschulen Schrekers und Schönbergs“ beschwört, ein Teil des „Handbuchs der Judenfrage“ von Theodor Fritsch 1935. Költzsch war nach 1945 Redakteur im Nordwestdeutschen Rundfunk Hamburg.
Einige Wochen lebte ich mit den Aufzeichnungen eines fremden, mir in vielem wesensfremden Menschen. Sie haben mich getroffen wie ein Schlag. Er hätte mein Vater sein können: Der Ungar Béla Zsolt, Journalist, Schriftsteller, Jude, bürgerlicher Demokrat, Kritiker des gehobenen Mittelstandes, dem er selbst angehörte, Antikommunist, heimatloser Linker in heutiger Lesart, schilderte schon 1946/47 in „Neun Koffer“ (deutsch: Frankfurt/Main 1999) unfassliches Überleben – nicht nur seines – in Schreckenssituationen der Verfolgung. Doch das Ereignis im analytisch geschärften Blick des 1949 gestorbenen Intellektuellen aus der Erzählperspektive eines ungarischen Ghettos ist nicht die Bestie Mensch, sind nicht die alten Fragen (Warum denn sind sie eingestiegen in die Todeszüge?). Zsolt erlebte den eigenen Schmerz als „Beobachter, Voyeur“. Die Hochschüler deutscher Herrlichkeit haben hingesehen und nichts gesehen. Kultur kann blind machen.
Claus-Henning Bachmann
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