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2000
49. Jahrgang
Ausgabe 04
April (Inhalt)
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  nmz - neue musikzeitung

Kulturpolitik
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Seite 7

Autor:
Claus Henning
Bachmann

 

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Tagebuch

Zukunftsmusik

„Keiner hat Mozart, Beethoven, Bach so, wie sie wirklich rufen, nennen, lehren, schon gehört; das wird erst viel später eintreten, in der vollsten Nachreife dieser und aller großen Werke. (...) Die utopische Kunst Musik, diese als mehrstimmige so junge Kunst, geht derart selber noch einer eigenen utopischen Laufbahn entgegen, der durchgeformten Exprimatio (in dem und statt des gefühligen oder auch beschreibenden Espressivo). Das Utopikum dieses Ausdrucks ist die Stunde der Sprache in der Musik, hellhörend verstanden (...).“ Das volle Volumen dieser Sätze von Ernst Bloch, geschrieben im amerikanischen Exil der vierziger Jahre, kritisch durchgesehen in den fünfziger Jahren, ist noch immer nicht durchschaut. Ich habe einmal versucht, ein Zeichen mit dem „Noema“ zu setzen, etwa seit Josquin nicht mehr nur gesungenes Wort, sondern zugleich musikalischer Gedanke, am Scheitelpunkt der Musica poetica rhetorische wie musikalische Figur, Sprache als Musik in der Musik als Sprache. Aber die Musica poetica war eine Handwerkslehre, und die konnte Bloch nicht primär im Sinn gehabt haben. Musik geht, schrieb er, „der Stunde ihrer eigenen Sprache entgegen, ihrer (...) noch unbekannten Poesis a se“.

Das noch Ungehörte, das daraus spricht, das nennt und ruft und Ausdruck nicht an ein Auszudrückendes bindet, ist das dauernd Utopische an Musik, entgegen allen Regeln und Handwerkskünsten. Es macht sich lustig über die Regression. Die Stunde der Sprache in der Musik, oft dem Überlieferten zugeordnet und zu Unrecht missachtet, ist die Stille in der Erwartung des Kommenden. Zugleich ist offenkundig, „dass etwas gewusst werden kann, was nicht auch benannt werden kann“ (Susanne K. Langer). Diesem Wissen gibt Musik die Sprache.

Überfremdung

„Es wäre eine Oberflächlichkeit zu sagen, Richard Wagner sei der ‚erste Nationalsozialist’ gewesen. Derartige Aussagen sind naiv. Aber er hätte heute Nationalsozialist werden können, weil er die geistigen, politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten einer vergangenen Epoche aus der Haltung heraus bewertet, die in unseren Tagen den entscheidenden Antrieb des Nationalsozialismus bildet.“ Markige Worte des Musikkritikers Karl Richard Ganzer von 1934, leicht zu finden in der Dokumentation von Joseph Wulf „Musik im Dritten Reich“, Gütersloh 1963. Wulf kommentierte, es sei „kein Zufall, dass der Historiker Karl Alexander von Müller, ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit, seinen Schüler K. R. Ganzer zum Studium Richard Wagners anregte“; der junge Ganzer hatte die Zeichen der Zeit erkannt und widmete sich der „Überfremdung antiliberaler Geister mit liberalistischen Ideen“ im 19. Jahrhundert, wie bei Wulf nachzulesen ist. Eine Studie „Richard Wagner und das Judentum“ sollte 1938 folgen.

Wer genau hinschaut, wird bemerken, dass der forsche Kommentar des von Wagner und den Nazis Bewegten auch aus der Sicht von heute nicht ganz falsch ist; eine Meinung freilich, die aus der Bayreuther Familie nur Gottfried und Nike Wagner teilen würden. Auch Herr Dr. Ganzer hat seine eigenen Worte nach 1945 gewiss anders bewertet. Ich begegnete ihm in den fünfziger Jahren zuerst in Bayreuth; er war seinerzeit leitender Feuilleton-Redakteur der Schwäbischen Landeszeitung in Augsburg, einem Monopolblatt, später aufgegangen in der Augsburger Allgemeinen (Werbung: „ideale Streudichte und konkurrenzlose Stellung“). Herr Dr. Ganzer sprach freundlich mit mir, ich durfte für sein Blatt schreiben. In Salzburg wohnte er abseits, hielt sich unter den Kultur-Adabeis, den öffentlichen Wichtigtuern, zurück. Ich wohnte in der gleichen preiswerten Pension. Er kannte meine Geschichte, die zu tun hat mit dem Wagner-Verehrer H., dem „Onkel Wolf“ von Bayreuth. Er hätte zu mir reden können.

Gitarrenstunde

Geredet haben wir lange. Plötzlich ein Satz körperhaften Erinnerns. „Die DDR der Stasi war die Fortsetzung des Faschismus.“ Nein, war sie nicht. „Die DDR war auch die Idee der Überwindung des Faschismus“, sage ich. „Aber nur die Idee“, sagt sie. In der Musik wird Idee zur Praxis. Wir tasten uns zurück: Bach und die Moderne ist der Archimedische Punkt, an dem Veränderung ansetzen, neues Hörbewusstsein sich bilden kann. „Bach – Thema und Variationen“, Leitgedanke des Konzerthauses Berlin für diese Saison, ist eine Verführung zu neuer Wahrnehmung, triftig, weiträumig, sinnhaltig. Meine Gesprächspartnerin, die Gitarristin Sabine Oehring, hat nicht nur aus dem Hintergrund mitgedacht. Ihre Position „zwischen den Stühlen“ betriebsam sich selbst bespiegelnder „Szenen“ – für ihr Instrument, für die „Alte“ und die „Neue“ Musik – verdeutlicht sich als Resultat gelebter Hör-Erfahrung. „Musik machen ist für mich Lebenszeit.“ In ihrem Spiel wird das Gedankliche vernehmbar, Intimität zur Gestalt, und noch der „Naturlaut“ der leeren Saiten bei Helmut Lachenmann zieht eine sensuelle Leuchtspur.

„Bach ist der Komponist, um dessentwillen ich Musik mache.“ Das Prinzip Offenheit, hin zu anderen Künsten. Der Name Thomas Bernhard fällt; Sprech-Konstrukte wie Musik. Ich finde ein Bernhard-Zitat: „Der Geistesmensch hat die Chance, zuerst, über die Natur, zu einem idealen Kunstbegriff zu kommen, um auf die ideale Naturanschauung zu kommen über den idealen Kunstbegriff.“ Bach war ein Geistesmensch. Er ist in der Moderne anwesend wie die Moderne in ihm. „Die Gitarre“, sagt Sabine Oehring, „ist für mich ein polyphones Instrument.“ Lachenmann benutzt den Barré-Griff, die Intervallverhältnisse der leeren Saiten. Die Gitarristin beschreibt die Bewegung des Gleitstahls, die Erzeugung von Drei- und Vierstimmigkeit. „Die leeren Saiten sind der Urzustand der Gitarre, das ist ihr Klang, wenn sie nicht klingt.“ Aus der Zurücknahme, der Vereinfachung, entstehen neue Möglichkeiten, neue Reichtümer. „Auch mit den Flageoletts, also dem Greifen, ohne zu greifen. Es war eine neue Erfahrung, ein neues Instrument. Ich musste die Gitarre anders berühren als je zuvor.“ So wird erstarrte Natur neu belebt. Ein Moment des Eros in der Musik.

Sabine Oehring ist die Gitarristin des Kammerensembles Neue Musik Berlin in Uli Aumüllers Fernsehfilm über „... Zwei Gefühle ...“, Lachenmanns „Musik mit Leonardo“. Der Komponist spricht darin vom „Wald“ der „Pseudo- oder Meta-Gitarren“, den Instrumenten des Ensembles. Dieser Wald, ein Kunst-Körper, die Spiegelung des Gitarren-Körpers, bindet die zwei Gefühle, „Furcht und Verlangen“, zu einem einzigen. Sabine Oehring: „Man kann die Gitarre als Klangkörper orchestral benutzen.“ Aber auch: „Es gibt Stücke, die muss ich singen.“ Zwei Gefühle. Die Spannung von In-sich-hineinhören und Wirkung im öffentlichen Raum aushalten, ohne sie zu neutralisieren. Das instrumentale Nach-Denken der Komposition als Nachricht an den Einzelnen und die Hoffnung, über diesen Einzelnen die „verschlafene Gesellschaft“ zu erreichen.

Die Furcht erregende Dunkelheit in Leonardos Höhle trifft auf das Verlangen nach dem Wunderbaren darin. Das Wahrnehmungs-Instrument Gitarre benennt Grenzerfahrungen von Musik, „hellhörend verstanden“. Hellhören bedeutet die Relativierung der „typischen akkordfunktionalen Gitarren-Literatur mit ihren Arpeggien und Läufen“; heißt „Objektivität als eine Illusion“ erkennen und die subjektive Sicht „als das, was passiert“ (das nicht benennbare Wissen); spürt in Bach und der Neuen Musik die gleichen „Konfrontationen“ auf. Musik wird, mit Lachenmanns Worten, zur Wahrnehmungskunst.

Claus-Henning Bachmann

 

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