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2000
49. Jahrgang
Ausgabe 06
Juni (Inhalt)
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  nmz - neue musikzeitung

Kulturpolitik
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Seite 7

Autor(in):
Claus-Henning
Bachmann

 

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Tagebuch

An den Wurzeln

Über das Wort „Regietheater“, selbst aus Kritiken der gehobenen Art nicht mehr wegzudenken, ärgere ich mich seit langem (wer „Neutöner“ bespöttelt, kennt meist weder neue noch alte Töne hinlänglich gut, ein Wortmüll-Entsorgungsfall). Produziert Kupfer Regietheater, oder ist er schon in der Abstellkammer gelandet wie zuvor der Staat, in dem er sein Handwerk lernte? Ist Neuenfels Exponent des Regietheaters oder Konwitschny, der böse Csárdás-Bube, oder ein noch namenloser Possenreißer der Spaßgesellschaft? Ist kein Regie-Theater jenes, wo Regie nicht erkennbar stattgefunden hat? Zwei Fallbeispiele:

Peter Konwitschnys „Wozzeck“-Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper (ich sah die 17. Vorstellung seit der Premiere am 27.9.1998) steht jenseits von Regietheater, ja jenseits von „Theater“. Konwitschny hält das illusionistische So-tun-als-ob des Theaters für „eine Ungehörigkeit“ – mit Recht. Seine Inszenierung erscheint „radikal“ durch den leeren Raum, durch Frack und Abendkleid oder dadurch, dass es Geld schneit auf Leute, die vor Armut nicht leben können. Sie reicht in der Tat an die Wurzeln sowohl von Büchner als auch Berg; ich kenne in Schauspiel und Oper keine „Wozzeck“-Vergegenwärtigung von gleicher Eindringlichkeit. Sie bricht das Fragment, das die Musik geschlossen hat, wieder auf: zu einer Metapher der zwanghaften Nicht-Existenz hinter der Fassade von Wohlstand und Erfolg. Dergleichen gelingt selten, auch Konwitschny und Gleichbegabten.

Die Musik unter dem singulären Dirigat von Ingo Metzmacher gewinnt durch die Verweigerung der konventionellen Bühnen-Erzählung kaum je erreichte Ausdrucksschärfe und Plastizität (wovon noch die CD Zeugnis gibt). Das Geld geht nicht nur „in Verwesung über“, es ist die gleißende Verwesung selbst, als Materie unbemerkt. Der Macht des Geldes ausgeliefert verlieren die Figuren ihre Identität: Der Doktor zieht sich die Zwangsjacke über, ist sein eigenes Versuchsobjekt, Wozzeck kommt hereingehüpft als sein Bub und ist das „arm Kind“ in der (bei Berg nicht vorkommenden) Erzählung der Großmutter. Die Innenwelt des Wozzeck ist die Welt aus den Fugen, in der wir leben – unsere Welt. Umbesetzungen – nicht der Titelfigur: Bo Skovhus – gaben der Produktion, vom Regisseur animiert, eine neu erworbene Triftigkeit.

Warnung – jetzt kommt Hegel: „Das Kunstwerk ... ist nichts bloß Sinnliches, sondern der Geist als im Sinnlichen erscheinend“ („Ästhetik“, Berlin 1955, S. 584). Dieser Gedankenweg kennzeichnet die Arbeit von Hans Neuenfels, kein Umweg, sondern eine Erfüllung des Kunsthaften, jüngst zu besichtigen am Beispiel des Verdischen „Nabucco“ an der Deutschen Oper Berlin, in den ersten Vorstellungen von kaum nachvollziehbaren Publikumsprotesten begleitet. Sinn dieser Kolumne ist nicht Kritik, sondern die Aufzeichnung kulturphilosophischer, kulturpolitischer Phänomene, und so scheue ich mich fast anzumerken, dass Neuenfels seine geistsinnliche Landgewinnung mit Bildern und Assoziationen überladen hat, dass der Dirigent Marcello Viotti und das Orchester seine Arbeit nicht annähernd so unterstützt, inspiriert haben wie die Hamburger Kollegen die von Konwitschny. Aber die Überfülle ist durchdringbar.

Kern dieser hochmusikalisch gedachten, dem jungen Verdi adäquat folgenden Versinnlichung ist das Aufbrechen der historisch widerlegten Versöhnung zwischen den Juden und ihren Verfolgern, hier den Babyloniern. Nicht die Macht Jehovas wird am Ende beschworen, sondern die von schwachen Hoffnungszeichen aufgehellte Wanderschaft der Vertriebenen; ähnlich wie Silvia Fómina (von der noch die Rede sein wird) hat Neuenfels seine Arbeit „dem jüdischen Leben gewidmet“. Opfer und Täter sehen nach seiner Vorstellung dem Tod entgegen, „singen dasselbe Lied“; die Zeit zerbricht (Shakespeare). Die mörderischen Kleinbürger, fleißig wie die Bienen, pflegen ihre Blumen, doch keine Menschen. Die Torturen sind vertauschbar, treffen auch den wahnsinnig gewordenen Nebukadnezar/Nabucco, das Schreckliche erscheint im Komischen und umgekehrt, vor der befreienden Tat steht die Zärtlichkeit der Wölfe: das ist kein Theater-Theater, eher denn Mysterienspiel, das Komisch-Kindliche einbeziehend.

Abstrakt-Konkret

Auch gegen „Abstraktheit“ wäre einiges vorzubringen. Kunstwerke sind entweder abstrakt als Kunst, durch ihren geistigen Gehalt, oder verdichteter Ausdruck (in der Malerei: die reine Form). Dies meint wohl Claus-Steffen Mahnkopf, wenn er zu Reinhard Schulz sagt: „Als Komponist bin ich Ausdrucksmusiker.“ Wagners „Tristan und Isolde“ ist eine „Handlung“, ein „auto“, in Anlehnung an Calderóns autos sacramentales. Ismael Ivo und Marcia Haydée tanzen „Tristan Isolde“ (in einer Koproduktion des Berliner Hauses der Kulturen der Welt mit dem Theaterhaus Stuttgart). Sie zeigen das Wesentliche, das vom Ganzen Abstrahierte: den „Liebestod“ (nur diesen) als Leben, als Spielarten des Todes der Liebe. Notat von einer Wiener Probe im Vorjahr: „Zwei Kinder auf der Bühne – die Spielplatz, Falle, Schlachtfeld ist...“ Das Wesentliche ist das Äußerste, zwei Persönlichkeiten „entäußern“ sich aneinander. Die „Handlung“ kommt zu sich selbst, das Abstrakte wird wieder konkret.

Über die Uraufführung von Harrison Birtwistles „The Last Supper“ („Das Letzte Abendmahl“) – von Birtwistle und seinem Librettisten Robin Blaser „Dramatic Tableaux“ genannt – an der Berliner Staatsoper Unter den Linden (in Koproduktion mit dem Glyndebourne Festival für 2001) hat in der nmz 5/00 Dieter David Scholz berichtet. Man kann das Werk, obwohl es nicht „heilig“ ist, ein modernes Mysterienspiel nennen, es assoziieren mit den mittelalterlichen „autos“, ähnlich wie „Nabucco“, ähnlich wie „Tristan und Isolde“. Es erzählt nichts und ist doch „Handlung“. Es ist nicht „Oper“, nicht „Oratorium“, nicht „avantgardistisch“ und ebenso wenig „konventionell“. Seine Abstraktheit ist konkret. Die Nachbarschaft von Theater und Religion wird offenkundig, aber nicht denunziert. Martin Duncans Inszenierung mit ihren zum Teil leeren Gesten ist sicher nicht das letzte Wort, aber hilfreich erschien mir eine der inwendig gespanntesten Animationen von Daniel Barenboim am Pult.

Auf Wanderschaft

Die imaginäre Oper hat ihr Fundament in dem empfindlichen Gleichgewicht einer äquidistanten Pentatonik. Silvia Fómina, die argentinische Komponistin, erhielt den Auftrag zu „Schah Mat“ (gesprochen: Schachmatt) von Gerard Mortier in Salzburg; als textlich eigenständiges Exzerpt aus einer „wuchernden Struktur“ (Fómina) sah Witten, koproduzierend mit „Musik der Jahrhunderte Stuttgart“, „Endspiel“: Ouvertüre und Miniatur von jeweils zirka 13 Minuten Dauer für sechs Vokalsolisten, Kommentator und Streichquartett. „Endspiel“ ist Vorgabe für die Schach-Situation nach der Strategie eines klassischen Spiels: In der Wittener Miniatur, umfangreicher als die für die Oper vorgesehenen, wird der Schwarze König vom jiddisch singenden Turm mattgesetzt.

Der König, ein Vogelmensch, ist Symbol archaischer und gegenwärtiger Gewalt. Das Matt als ein beschließender jüdischer Zug ist eine empathische Geste der als Fremde im fremd gebliebenen Land geborenen Komponistin, die immer auf Wanderschaft scheint; ein jüdischer Freund in Kalifornien, Jonathan Treitel, hat den größten Teil des Librettos für Salzburg geschrieben. Dem „Unvorstellbaren“, dem Alptraum einer neuen Bedrohung des jüdischen Volkes, hat Silvia Fómina ihr „Endspiel“ gewidmet. Der Großform bleibt vorbehalten, was die Wittener Szene nur andeuten konnte: die Mikrotonalität des Lichts.

Claus-Henning Bachmann

 

 

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