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2000
49. Jahrgang
Ausgabe 07-08
Juli-August (Inhalt)
Zurück / Back© nmz und
autoren 2000

  nmz - neue musikzeitung

Kulturpolitik
Wirtschaft
Medien 

Seite 7

Autor:
Cluas-Henning
Bachmann

 

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Tagebuch

Timidität

Das Wort (in manchen Lexika „veraltet“ genannt, was mir voreilig dünkt) steht für Schüchternheit, Zaghaftigkeit. In einem der glänzendsten sprachkritischen Essays der Nachkriegszeit, Dolf Sternbergers „Wissen um...“ – Teil der Rubrik „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ in der Monatsschrift „Die Wandlung“ 1945–1948, in Buchform und revidiert 1957 –, ist „eine Art von erhabener Timidität“ mit dem „Nebel des Darumwissens“ assoziiert, genährt aus dem „verschwiegene(n) Hochmut der ‚Stillen im Lande’, ... eine Heiligsprechung der Ohnmacht“. Gleichwohl findet sich die von Zeit zu Zeit modische Wendung schon bei Schiller – und heute wieder bei Stefanie Oswalt in ihrer Biografie von Siegfried Jacobsohn, dem Gründer der am 7. September 1905 erstmalig erschienenen „Schaubühne“, am 4. April 1918 umbenannt in „Die Weltbühne“.

Jacobsohn (1881–1926) war Deutscher und Jude, „Angehöriger einer ersten Generation deutscher Juden, die mit rechtsstaatlicher Gleichberechtigung geboren wurde“ (St. O.). Die Autorin, Jahrgang 1967, konfrontiert mit einer problemreichen Quellenlage zu Jacobsohn und der Fülle relevanter Texte über die Herausgeber-Nachfolger Tucholsky und Ossietzky, ließ sich leiten von ihrem „Wissen um Antisemitismus, nationalsozialistischen Terror und Genozid“. Dieses scheue Wissen der Nachgeborenen ist keineswegs prätentiös im Sinne des Sternberger-Essays, aber es kann auch nicht „geronnene oder filtrierte Erfahrung“ (D. St.) sein. Insofern vertritt das timid-zaghafte Sammeln und Sichten den Umgang einer ganzen Generation mit dem Nationalsozialismus. Dieser bleibt ihr lückenhaft, in die Lücken fällt Beschönigung – nicht anders, als wäre sie ihm vorzeitig entkommen.

Stefanie Oswalts Buch quillt über von wissenschaftlichem Fleiß und Leseeifer. Sie kann aber den zu Lebzeiten Jacobsohns bestehenden Antisemitismus nicht genauer, nicht sinnlicher wahrnehmen als der davon Betroffene selbst aufgrund seiner Prägung durch das „Lebensgefühl der Kaiserzeit und der Weimarer Republik“ (St. O.). Das idealisierende Bild von der „deutsch-jüdischen Symbiose“ verzerre die Wirklichkeit, schreibt der Historiker Dan Diner und begründet es einleuchtend. Der latente Antisemitismus ist aus dem Leben der „deutschen Juden“ nicht zu erfahren, wohl aber aus ihrem Leiden. Jacobsohn übte aus theaterästhetischen Gründen 1916 vor Gerhart Hauptmann Selbstkritik, obwohl dieser ihn 1905 (als die erste „Schaubühne“ eben gedruckt war) infam beleidigt hatte. War „die Katastrophe“, als Jacobsohn starb, dem Denken fern? Damals waren, heute sind „die Fakten mehrdeutig“. Dazwischen jedoch liegt erlebte Geschichte. In ihrer Widerspiegelung lässt sich das Damals neu erkennen. Um dieser Erkenntnis willen empfehle ich die materialreiche, vom Bleicher Verlag Gerlingen vorgelegte Dissertation aus den Potsdamer Jüdischen Studien/Jewish Studies, die von der Universität und dem Moses Mendelssohn Zentrum getragen werden.

Remigranten

Mit ihnen begann der Diskurs. Mit dem Diskurs begann die Freiheit. Er fand im Radio statt, vorwiegend dort. Sind sie gescheitert? Aus politischen, aus gesellschaftlichen Gründen? Weil man Nicht-Juden wie Thomas Mann – der nicht zurückkam, aber ab März 1941 bis zum Kriegsende über die BBC zu den Deutschen gesprochen hatte – die Emigration übel nahm? Diese Ansicht besteht, doch ich teile sie nicht, obwohl von Schwierigkeiten mit amerikanischen Sendeleitungen berichtet wird (Fritz Eberhard hatte sie in Stuttgart, Hans Mayer in Frankfurt). Eine Ausnahme gibt es vielleicht: den Arzt und großen Schriftsteller Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“). Ab Oktober 1946 sprach er im Südwestfunk, Baden-Baden, regelmäßig seine Kommentare „Kritik der Zeit“. Ende 1950 passten der Politischen Abteilung seine Bemerkungen zur Landtagswahl nicht; er wurde aus dem Sender gedrängt. Die Freundschaft mit Theodor Heuss nützte ihm offenbar nichts, er wollte sein deutsches Domizil wieder aufgeben. Krankheit und Finanzsorgen zermürbten ihn. In seinen „Letzten Aufzeichnungen“ heißt es: „Sie mochten mich in diesem Lande nicht sehr.“ Begraben ist er in den Vogesen.

„Erziehung zur Kultur“ war gefordert; das mag man heute belächeln, aber wie sollte auf den Zivilisationsbruch sonst reagiert werden? Die Praxis sah auch ganz anders aus, war eben immer zugleich politisch wie bei Döblin: Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer, als Neunzigjähriger noch einmal mit Thomas Manns „Leiden an Deutschland“ befasst, war (wenn auch kurz) Chefredakteur für Politik und Nachrichten bei Radio Frankfurt; Fritz Eberhard, neun Jahre Intendant des Süddeutschen Rundfunks, hatte eine prägende politische Vergangenheit im Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK). Eberhard Schütz, leitend am NWDR, im RIAS und SFB, war zuvor Hauptberichterstatter über die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse für den Deutschen Dienst der BBC, Alexander Maass hat die Rundfunkschule des NWDR aufgebaut und sich später in der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ engagiert. Splitter zur Radiokultur; Bruchstücke aus einer Wanderausstellung (zurzeit im Bonner Haus der Geschichte) „Rückkehr in die Fremde?“, erarbeitet von den Stiftungen Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt/M – Berlin und Archiv der Akademie der Künste Berlin, veranstaltet vom Arbeitskreis selbstständiger Kulturinstitute (AsKI).

Weitergedacht

Das Musiktheater der 1996 gestorbenen Ruth Berghaus schwindet langsam aus dem Bewusstsein (vom Schauspiel nicht zu sprechen). An ihrem Stammhaus, der Staatsoper Unter den Linden, ist die älteste Inszenierung noch zu sehen, „Il barbiere di Siviglia“ vom 21.11.1968; „Pelléas et Mélisande“ soll in der übernächsten Spielzeit wieder aufgenommen werden, Dessaus „Die Verurteilung des Lukullus“ ist endgültig der verschlissenen Hydraulik zum Opfer gefallen. Die Hamburgische Staatsoper rief mit der Neueinstudierung von „Tristan und Isolde“ (Premiere 13.3.1988) zugleich den geistigen Grund dieser Berghaus-Inszenierung, das Frankfurter Jahrzehnt Gielen/Zehelein, ins Gedächtnis. Zu dieser Retrospektive fügte sich, sie aufreißend, ein Neubeginn, der Blick nach vorn: Ingo Metzmacher dirigierte seinen ersten „Tristan“, ging auf Entdeckungsreisen in der Partitur, fand vieles neu zu Hörende: den sprachartikulatorischen Eigenvollzug der „Handlung“ im Orchester, die Trennschärfe der Instrumentalstimmen mit der Folge einer Annäherung Wagners an die Zweite Wiener Schule, Bausteine einer „Tristan“-Architektur, die an Boulez’ „Ring“-Dirigat in Bayreuth 1976 erinnerte.

Weitergedacht ist manches. An Wieland Wagners Bayreuther „Tristan“-Inszenierung von 1952 meinte ich mit dem Pathos der Jugend „die Einsamkeit der Liebenden in der Unermesslichkeit des Alls“ abzulesen. Die Berghaus konkretisierte das „neue Bayreuth“: Ihre Handlung spielt im All, das sich nach innen stülpt als „Apokalyptisches Interieur“ (so ein Bildtitel von Edgar Ende). „Musik ist Denken über Bilder“ sagte Heiner Müller in einem Gespräch mit Ruth Berghaus wenige Monate vor der Premiere. An meinem Hamburger „Tristan“-Tag leisteten Deborah Polaski – im Zenit ihrer Laufbahn – als Isolde, Julia Juon als Brangäne und Harald Stamm – seinem durchfühlten König Marke war noch die persönliche Arbeit mit der Berghaus anzumerken – umjubelten Transport der Gedanken. Im dritten Akt absolvierte der zeitweise bemerkenswert schön singende Ronald Hamilton (Tristan) lustlos eine Stellprobe. Die Apokalypse wurde zur Welt im Kopf.

Claus-Henning Bachmann

 

 

 

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