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2000
49. Jahrgang
Ausgabe 07-08
Juli-August (Inhalt)
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  nmz - neue musikzeitung

Jazz / Pop
Chanson ...

Seite 35

Autor:
Helmut Hein

 

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Die Hölle von Baton Rouge

Mit „Ecstasy“ wird Lou Reed zum Botho Strauss der Pop-Musik

Sie waren die Kinder von Karl Marx und Coca Cola. Oder genauer: von Andy Warhols Factory, in der die Pop-Art der Swinging Sixties endgültig synthetisch wurde. Die Band „Velvet Underground“ war ein Kunst-Produkt direkt von den Designer-Tischen einer alternativen Fabrik, die „Superstars“ in Serie herstellte – und wurde paradoxerweise zum role-model für authentizistische Rock-Musik. Lou Reed & Co. verbanden damals ausufernde Gitarren-Feedbacks und dunkel-betörende Melodien mit dem Versprechen ekstatisch-exzessiver Lebensformen zwischen „Heroin“ und „Femme Fatale“. Später dann, nach dem Band-Split, begann Lou Reed seine Solo-Karriere mit glamourösen Tänzen auf dem Vulkan: Er spielte mit Geschlechteridentitäten und exotischen Sex-Praktiken („Walk on the Wild Side“) und schien in den Schizophrenien finaler Drogen-Räusche unterzugehen.

Aus dem Rückblick erscheint das alles als Missverständnis, als Posing auf der offenen Bühne einer in die Länge gezogenen Adoleszenz. Längst ist Lou Reed so etwas wie der exemplarische, das heißt müd-melancholische middle-class-Intellektuelle, für den schärfste Zeit-Diagnostik nur mehr die Maske konservativer Kulturkritik ist, die überall Identitäten und Institutionen zerbröseln sieht und abwechselnd mit schierer Panik und reaktionär gewordener Trauer reagiert.

Dennoch hat Karl Bruckmaier Unrecht, der in „Ecstasy“ nur ein fades selbst-plagiatorisches Machwerk sieht. Lou Reeds neuester Longplayer (im Wortsinn: 78 Minuten!) ist ein metaphorisch wucherndes chef-d’oeuvre aus dem Zentrum einer beschädigten Existenz – und vor allem musikalisch brillant! Das Gitarre-Bass-Duo Mike Rathke und Fernando Saunders, Lou-Reed-Aficionados bestens bekannt, sorgt für einen repetitiven Höllenlärm, der nie langweilig wird und aus dem immer wieder wunderbar splitternde Melodien und Harmonien „aufsteigen“. Vor allem aber ist er der Grund für Lou Reeds unverkennbar autobiografisch inspirierte Short Stories, in denen Midlife-Crisis-Turbulenzen, gescheiterte Ambitionen und nachlassende Vitalität sich zu einem Weltverdammungs-Furioso verdichten, das halb noch comédie humaine, halb schon Dante’sches Inferno ist.

Beim Lou Reed des Jahres 2000 wird alles zum Symptom – und zwar des moralischen und physischen Verfalls. Kaum irgendwo sonst in der Pop-Musik, die hämmernden Suaden des HipHop vielleicht ausgenommen, bekommt man soviel Informationen über den Jetzt-Zustand „per minute“. Aber Daten-Dichte verbürgt noch nicht Verständnis; eher im Gegenteil. Lou Reed gefällt sich zunehmend in der Rolle eines Warners, auf den niemand hört.

Das Elend aller Kulturkritik zeigt sich am deutlichsten in Lou Reeds Versionen privater Dramen, die misogyn zu nennen fast noch eine Form von Rest-Galanterie wäre. Der gekränkte Macho ist das Opfer, die sich von seinen Launen emanzipierenden Frauen sind berechnende Biester, die sich nicht länger damit zufrieden geben, Herzen zu brechen, sondern auch noch an das Allerheiligste des Bürgers wollen: seinen Besitz. Der bekennerhafte Song „Baton Rouge“ wird so zum Pandämonium eines postmodernen Geschlechterkampfs.

Freilich: Lou Reeds „Ecstasy“ langweilig zu nennen dürfte auch nur eine besonders raffinierte und virtuose Variante von Verdrängung sein. Reeds unbezweifelbare Tugend ist nämlich eine radikale confessio, die keine Schamgrenzen mehr kennt. „Ecstasy“ ist „Underground“ im besten Sinn: verschollenes und verdrängtes Bekenntnis aus dem Unbewussten des Macho-Bourgeois, immer nah an der „Paranoia“ und in „Like a Possum“ in einer mehr als 18-minütigen spät-dadaistischen Selbstzerstörungs-Orgie kulminierend.

Helmut Hein

Lou Reed: Ecstasy, Reprise/WEA.

 

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