[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 1
53. Jahrgang | September
Leitartikel
Groß & Klein
Die spannendsten Augenblicke während der diesjährigen
Salzburger Festspiele ereigneten sich im benachbarten Bad Reichenhall.
Dort fanden sich im Rahmen eines Festivals mit dem leicht komischen
Titel „AlpenKlassik“ sechs Komponisten aus drei Generationen
zu einer Hölderlin-Liederwerkstatt ein: vor Ort setzten sie
sich mit dem Dichter und seinen Texten auseinander, drangen mit
Tönen und Klängen in diese ein. Es waren aufregende Versuche,
Hölderlins Sprache, seine Imaginationen und Visionen in Musik
zu übersetzen, sie in Musik zu verwandeln. Junge Sänger
leisteten als Interpreten dabei Erstaunliches. Wilhelm Killmayer,
Aribert Reimann, Manfred Trojahn, Wolfgang Rihm, Jan Müller-Wieland
und Moritz Eggert öffneten mit ihren klingenden Reflexionen
über Hölderlin vielfältige neue Perspektiven (siehe
Bericht S. 46).
In der vorliegenden Ausgabe der neuen musikzeitung finden sich
weitere Beiträge über kleinere und nicht ganz so kleine
Musikfestivals: über das Kammermusikfest
in Lübeck, über die Sommerlichen
Musiktage in Hitzacker, über das Bebersee
Festival Schorfheide, das Klavierfestival
Ruhr, über „space
+ place“ vom Kammerensemble Neue Musik Berlin, über
Menuhins Festival Gstaad
und das Montreux Jazz
Festival. Schon diese kleine Auswahl sommerlicher Festspiele
beweist die Lebendigkeit und den Reichtum der Musikszene, aus denen
sich farbige Programme entwerfen lassen. Es müssen nicht immer
pompöse Opernaufführungen wie in Salzburg oder Aix-en-Provence
sein, um den wahren Musikfreund anzulocken. Ein meisterhaft gespieltes
Streichquartett von Haydn besitzt zweifellos einen höheren
Kunstwert als eine routiniert abgespielte Mahler-Großsinfonie,
selbst wenn es von routinierten Wiener Philharmonikern wäre.
Insofern boten die Salzburger Festspiele 2004 reiches Anschauungsmaterial.
Die künstlerische Ausbeute bei den Opernaufführungen hielt
sich sehr in Grenzen (wir werden in der nächsten Ausgabe zusammenfassend
darüber berichten), auch auf dem Konzertsektor geschah nichts
Überwältigendes: Eine Reimann-Uraufführung, dazu
zwei Composer-in-Residence: Kurtág war schon bei Mortier
als Residenz-Komponist anwesend, Jörg Widmann schwimmt derzeit
ohnehin auf einer Erfolgswelle durch alle Festivals und Konzertsäle.
Besonders originell, geschweige denn wagemutig war das sicherlich
nicht. Immerhin verstreute sich ein Dutzend klassischer oder etablierter
Moderne durch diverse Programme der jeweiligen Orchester und Ensembles.
Das Profil, das die Neue Musik unter Mortier und Hans Landesmann
bei den Salzburger Festspielen gewonnen hatte, ist weitgehend einem
rundfunktypischen Quotendenken gewichen: Moderne Musik ja, aber
bitte nicht zur Hauptsendezeit. Dabei heißt der künstlerische
Direktor der Festspiele Peter Ruzicka. Gern erinnern wir uns an
ein nicht lange zurückliegendes Ruzicka-Weekend in Gütersloh.
Da ging es höchst lebendig und anregend zu. Vielleicht sollte
man künftig nur noch zu den kleineren Festspielen fahren, nach
Schwaz oder Witten. Der Kunstwert ist dort allemal höher.