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Reinhard Schulz
Die Harfe und die Zeitgenossen; Glosse
Gutmeinende sehen in ihr das schönste Mauerblümchen, das es je gab. Böswillige halten
das Gerät für einen Staußenei-Schneider für ein neobarockes Küchen-Design.
Wie dem auch sei, eines hat die jedenfalls Harfe nicht: Sie hat keinen guten Ruf zu verlieren.
Dabei macht sie sich gut im großbürgerlichen Salon und sticht, was den Dekorationswert
betrifft, mit links den Bösendorfer-B-Flügel oder den chinesischen Terracotta-Krieger aus.
Geschmackvoll nach hinten versetzt schrägt sie eine Ecke ab und formt den Raum human mildernd zum
anthroposophischen Fünfeck. Dort wartet die Harfe, vielleicht langweilt sie sich so allein wie
einst der durstige Engel Aloisius mit ihr beim Frohlocken und Halleluja-Sagen. Kundigere mögen
den stolzen Besitzern des Blattgold-Apparats manchmal zukommen lassen, dass es sich bei dem schnörkelig
verdrahteten Ding mit Pedalbedienung um ein Musikinstrument handele: Ein Instrument für angehende
Jungfrauen und für niederkommende Rauschgold-Putten aller Art. Denn man kann mit ihm im Grunde
nur eines: den Klang bauschen wie ein blütenweißes Hochzeitskleid, in das 100 Meter Stoff
eingearbeitet sind; oder so, wie der katholische Gott den Himmel mit güldern glitzernden Lichtern
und wolligen Wattewölkchen gemacht hat.
Schon Hieronymus Bosch sah die Harfe als Folterinstrument, in das man die leidenden Menschen wie Schmetterlinge
einspannen kann. Dem Maler war es vermutlich versagt zu zeichnen, dass die gefesselten Opfer auch noch
die Klänge hören mussten, die sie in der Hoffnung auf Befreiung zappelnd zupften. Nur der
entsetzte Gesichtsausdruck deutet darauf hin - und dass sie es letztlich bevorzugten, lieber still zu
halten. Vermutlich hat auch schon David den König Saul mit seinem Harfenspiel nebst Psalmen so
genervt, dass sich dieser schließlich ins eigene Schwert stürzte.
Davon ließ sich Großbürger anregen, denn gern setzte er seine wohlzubehütenden
besseren Töchter an diesen Apparat - Söhne kamen für solch erniedrigende Warte-Prozedur
nicht in Frage. Dort blieben sie wie einst die arpeggien-verstömende Lorelei in einsamer Abgeschiedenheit
und kamen auf keine schlechte Gedanken. Im Grunde kamen sie auf überhaupt keine Gedanken, denn,
auch das wurde im Salon mit Befriedigung quittiert, es gibt kaum Musik dafür, vor allem keine von
der so entsetzlich neuen.
Daran konnte auch ein Harald Genzmer im Grunde nichts ändern, dessen Werkliste sich ohnehin wie
ein Raritärenkabinett bei Madame Tussauds ausnimmt. Der hat eine Fantasie für Harfe geschrieben,
auch ein kleines Harfenkonzert, weil er immer, bevor er zu komponieren begann prüfte, für
welches Instrument er noch kein Stück geschrieben hatte. Sicherlich betrachtet er diese Harfen-Werke
wie ein Briefmarkensammler seine Mauritius oder seine Schwarze Eins. Einen Fauxpas hat sich auch Claude
Debussy geleistet, als er ganz spät seine Sonate für Flöte, Bratsche und Harfe schrieb.
Der gerechte Lohn: Das Stück ist so gut wie nie zu hören.
In Avantgarde-Kreisen haben inzwischen die Maultrommel, das Toy-Piano, die afrikanische Zupftrommel,
das Bandoneon oder das Didgeridoo der Harfe längst den ohnehin nicht vorhandenen Rang abgelaufen.
Ihr Flitterklang, der wie ein Garnierungsvorschlag für ein Rokoko-Ambiente wirkt, riecht so sehr
nach guter Stube, dass sich darin die aufmüpfigen Geister nicht wohl fühlen. Selbst der Witz,
dass Harfenistinnen schwer auf Draht sind, greift nicht. Und dann kommt es sogar noch zu Gemeinheiten.
Auf den Flügeln der Harfe" hat der musikalische Radikalist Nicolaus A. Huber eines seiner
Stücke überschrieben. Kurzfristig schlagen da die Harfenistinnen-Herzen höher. Endlich
der Ausbruch? Bis sie die Unterzeile lesen. Denn dort steht: für Akkordeon".
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